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Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt

Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt

Titel: Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Olivenhain hinab, und Laura vermutete, dass Angela Piselli von hier Enzo Leone und den Unbekannten beobachtet hatte.
    Piovene stellte Flasche und Gläser auf einem Marmortisch ab, wies auf eine Bank und zwei Holzsessel.
    «Das war Giorgios Lieblingsplatz am Abend und wenn die Nacht kam. Er saß oft stundenlang hier und schaute über die Hügel nach Westen.» Piovene blickte ebenfalls nach Westen, wo die Sonne orangerot knapp über den Bergen stand, dann wandte er sich schnell um und füllte die Gläser. Laura kam es vor, als hätte Piovene die Regie ihres Treffens übernommen: ein sensibler, unterhaltsamer Gastgeber, der sich bemühte, alle Fragen zu beantworten. Trotzdem fühlte sie sich nicht ganz wohl dabei. Es lag nicht an ihrer Verletzung oder an den Erlebnissen des Nachmittags.
    «Haben Sie mit Giorgio Altlander unter einem Dach gewohnt?», fragte sie, als er ihr eines der Gläser reichte.
    «Nein – wir sind uns immer neu begegnet. Ich habe im Nebenhaus gewohnt. Das ist auch wichtig für die Arbeit, Commissaria. Wenn ich schreibe oder male, dann brauche ich absolute Ruhe, und Giorgio ging es nicht anders.»
    Also noch einer in der Dependance, dachte Laura und brauchte so respektlose, flapsige Gedanken, um diesen edlen Dichter nicht ins Überdimensionale wachsen zu lassen.
    «Hatten Sie noch Kontakt mit ihm?», fragte sie, ließ den roten Wein im Glas kreisen, nahm sein Funkeln in den letzten Sonnenstrahlen wahr.
    «Ja, wir hatten noch Kontakt. Wir haben uns über unsere Arbeit ausgetauscht. Nicht regelmäßig, aber immer wieder. Und ich kann Ihnen gleich sagen, dass Giorgio an einer Biographie über Lord Byron arbeitete.»
    «Hatte das etwas mit Ihrer Beziehung zu tun?» Laura hob ihr Glas. Piovene erwiderte ihre Bewegung und schloss mit einem Blick auch Guerrini ein.
    «Natürlich hatte es etwas damit zu tun. Giorgio konnte nicht gut loslassen. Aber es war auch noch etwas anderes, er lebte als Lord Byron irgendwie ein zweites Leben. Manchmal hinkte er sogar – Byron war zwar groß und schön, aber auch behindert. Das wissen nicht viele. Also hinkte Giorgio an manchen Tagen. Und er teilte Byrons Verachtung für alle Spießer und alles Mittelmäßige. Seine unerbittliche Gesellschaftskritik speiste sich aus vielen romantischen Gedanken. Aber er hatte recht … er hat diese Gesellschaft von geldgierigen skrupellosen Spießern ganz gut durchschaut. Und dazu kam, dass er die Natur sehr liebte. Er litt geradezu körperlich unter der Zerstörung der Erde durch die Menschen.»
    «Wie würden Sie ihn bezeichnen – als Dichter, der Sie sind, Signor Piovene?», fragte Guerrini.
    Raffaele Piovene stellte sein Glas ab, strich mit einem Finger der rechten Hand über die Innenfläche seiner linken, tat einen tiefen Atemzug.
    «Als dunklen Engel, als einsamen Wolf, als den Weisen auf dem Berg und als einen bitteren Menschen, der trotzdem das Leben geradezu leidenschaftlich liebte. Er war in allem widersprüchlich – manchmal lebte er asketisch wie Byron, dann wieder feierte er Fress- und Saufgelage.»
    «Shelley hätte es nicht besser sagen können», murmelte Laura und nahm einen großen Schluck. Sie lauschte, stellte sich plötzlich vor, dass der schwarze Geländewagen irgendwo drüben unter den tiefhängenden Ästen der Olivenbäume stand und der Unbekannte sein Schnellfeuergewehr auf sie gerichtet hielt. Langsam erhob sie sich, ging zurück zur Küchentür, schaute zu den Bäumen hinüber. Blaugrüne Schatten umhüllten die Stämme, ein Käuzchen stieß schrille Schreie aus. Als Guerrini plötzlich neben sie trat, zuckte sie leicht zusammen.
    «Es ist noch nicht vorbei, wie?» Seine Stimme klang weich und beruhigend. «Da steht kein Wagen, Laura. Wir hätten den Motor gehört. Ich habe sehr genau darauf geachtet. Komm wieder zu uns.» Er legte eine Hand auf ihre Schulter.
    «Danke», sagte sie leise. «Ich komm ja schon.»
    Gemeinsam kehrten sie zu Piovene, der Bank und dem Geist Altlanders zurück.
    «Wo waren Sie eigentlich, als Altlander starb?» Guerrini setzte sich auf einen der Stühle, während Laura sich an eine Säule lehnte.
    «Ja, natürlich. Sie müssen diese Frage stellen. Ich habe schon darauf gewartet. Es ist ein interessantes Phänomen, dass man nur mühsam die eigenen Schritte im Leben rekonstruieren kann, selbst wenn sie wenige Tage oder Stunden zurückliegen. Ich habe darüber nachgedacht und beschlossen, eine Kurzgeschichte daraus zu machen. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ich war in Rom, am

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