Wolfstraeume Roman
nicht öfter weg?«
Er zögerte einen Moment mit seiner Antwort, als wüsste er nicht so recht, wie er sie für eine Idiotin wie mich am besten formulieren sollte. »Abra, ich schreibe eine Geschichte über wilde Natur. Natürlich weiß ich, dass ich jederzeit einen Spaziergang im Central Park machen könnte. Aber nachdem ich den Sommer in den Karpaten verbracht habe, ist es irgendwie nicht mehr so anregend, an unzähligen Gap-Läden und Betonwänden vorbeizulaufen, bis ich zu einer von Kleinkindern überlaufenen Grünfläche komme.«
Ich sah ihn mit jener Miene an, die er mein Nonnengesicht nannte. »Dann bist du es also überdrüssig, in Manhattan zu wohnen, und wolltest mir das mitteilen, indem du einen vollen Teller Essen an die Wand schleuderst?«
»Ich habe den Teller nicht geschleudert. « Hunter holte eine Zigarette aus dem Päckchen, zündete sie an und nahm einen tiefen Zug.
»Ich würde dich bitten, hier nicht zu rauchen.«
»Schmeckt sowieso Scheiße.« Er drückte die Zigarette in der Butter aus.
»Ruinier die Butter nicht«, sagte ich. »Auch wenn du Milchprodukte nicht magst.«
»Mein Gott, ich muss hier raus. Ich ersticke hier, Abra. Merkst du das nicht?«
Das Stück hellgelbe Butter war mit dunkler Asche bedeckt, und die Zigarette ragte wie ein Speer an der Seite heraus. Warum machte ich mir über so etwas überhaupt Gedanken? Meine Hände zitterten so stark, dass ich sie faltete. »Du musst hier raus? Was meinst du damit? Willst du raus aus unserer Ehe?«
Hunter musterte seine Handflächen, als ob er sein Schicksal darin lesen könnte. »Vielleicht. Ich weiß es nicht. Ich brauche jedenfalls eine Veränderung.«
Ich merkte, wie mein Gesicht zu zerbröckeln begann. Trotzdem schaffte ich es, nicht ganz die Beherrschung zu verlieren. »Okay. Dann muss sich also etwas in deinem Leben ändern. Aber du weißt noch nicht, was. Okay. Wenn dich etwas stört, dann müssen wir darüber reden. Geht es vielleicht ums Schreiben, Hunter? Oder ist etwas auf der...« Er holte seine Jacke aus dem Schrank, ehe ich das Wort >Reise< aussprechen konnte.
»Es tut mir leid, Abs«, sagte er, während er zur Wohnungstür ging. »Ich kann das jetzt nicht.«
Ich lehnte mich an die Wand, um nicht ins Wanken zu geraten. »Heißt das, dass du mich verlässt?«
»Mach das Ganze nicht größer, als es ist.«
Plötzlich wünschte ich mir, ich hätte eines dieser Selbsthilfebücher gekauft, in dem ich nur Multiple-Choice-Kästchen ankreuzen musste. Ein Buch mit einem Titel wie »Der Höhlenmensch an Ihrem Tisch« oder »Wie fortgeschritten ist sein Wahnsinn?«
Leise zog er die Tür hinter sich ins Schloss. Ich lehnte die Stirn gegen die Wand und schloss die Augen, während
ich Hunters Schritten im Treppenhaus lauschte, die sich immer weiter entfernten.
Um Mitternacht kehrte er nach Hause zurück. Er stank nach Zigarettenrauch.
»Wo bist du gewesen?«
»Draußen.«
Ich saß schon im Bett, trug meinen weißen Schlafanzug und hatte eine Brille mit einem Gestell aus falschem Schildpatt auf der Nase. Die Reste des Abendessens hatte ich schon lange fortgeräumt. Ich war keine Frau, die eine Tomate absichtlich nicht von der Wand entfernte, um sie als stillen Vorwurf präsent zu lassen.
Außerdem wusste ich, dass Hunter den Fleck bestimmt nicht wegputzen würde.
»Wo draußen?«
»Im Kino.«
Im Hintergrund lief der Fernseher. Hunter zog sich aus, ohne mich anzusehen. Achtlos warf er die Kleidung beiseite und stieg dann neben mir ins Bett. Diesmal war ich geradezu erleichtert, dass er nicht das Bedürfnis verspürte zu duschen. Louise Rosegartens »Sechs Anzeichen von Untreue« zufolge gehörte das zu den ersten Anzeichen von Treulosigkeit. Ich war am Nachmittag in der Buchhandlung über dieses Buch gestolpert. Die Autorin riet außerdem, dass man auch auf den plötzlichen Wandel in der Auswahl der Unterwäsche achten sollte, vor allem wenn der Partner auf einmal Tangaslips bevorzugte. Hunter trug schon immer Tangaslips – wenn er überhaupt eine Unterhose anhatte.
»Welchen Film hast du gesehen?«
Hunter strich sich eine dicke braune Locke aus dem Gesicht. Er wirkte wie ein widerspenstiges Pferd. » Womb
Raider . Hat drei Sterne bekommen. Willst du auch noch wissen, wann und in welchem Kino ich war?«
Ich zuckte mit keiner Wimper. »Ja.«
Er wälzte sich theatralisch aus dem Bett, ging zum Balkon und holte die Zeitung aus dem Papierkorb. Damit kehrte er ins Schlafzimmer zurück. Er blätterte sie laut raschelnd
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