Wolfstraeume Roman
geahndet.« Hunter suchte auf dem Tisch nach seinen Zigaretten. »Und Sex stellt in unserer Beziehung doch nur einen kleinen Teil dar. Uns verbindet so viel mehr.« Er zündete sich eine Zigarette an und fügte dann hinzu: »Mein Gott, Frau! Jetzt steh da nicht mit großen Augen rum. Entweder klebst du mir eine oder du lässt es. Aber hör endlich mit diesem Opfer-Getue auf!«
Auf einmal begriff ich. Es war keine Prostituierte gewesen. Keine zufällige Bekanntschaft in einer Bar. »Bist du in sie verliebt?«
Hunter zog an seiner Zigarette. »Ich weiß es nicht, Abra. Vermutlich nicht auf die Weise, die du meinst.«
In diesem Augenblick hätte ich mich ohne zu zögern vom Balkon stürzen können. Stattdessen zwang ich mich jedoch dazu, ins Schlafzimmer zurückzukehren, mich ins Bett zu legen und die Brille abzusetzen. Ich schaltete das Licht aus und versuchte zu schlafen. Doch ich starrte nur in die Dunkelheit. Tränen liefen mir seitlich am Gesicht entlang in mein linkes Ohr.
Am liebsten hätte ich geschrien. Ich wollte wissen, wer sie war und wie oft er mit ihr geschlafen hatte. In gewisser Weise war der schlimmere Betrug jedoch erst durch das passiert, was er eben gerade zu mir gesagt hatte. Er hatte nicht das Gefühl, dass sein außerehelicher Sex bedeutungslos war, sondern vielmehr der Sex mit mir. All unsere leidenschaftlichen Spiele hatten für Hunter nichts anderes als eine Ablenkung dargestellt. Und dass er sie nicht liebte, hatte er auch nicht gesagt.
Ich war nicht mutig genug gewesen, ihn zu fragen, ob er mich noch liebte. Es kam mir so vor, als ob mir mitgeteilt
worden wäre, dass ich an einer möglicherweise tödlichen Krankheit litt, und ich hatte nicht gefragt, ob es noch Hoffnung auf Rettung gab.
Aus dem Wohnzimmer war Hunters stetiges Tippen auf der Tastatur zu hören. Wenn ich die Augen schloss, stiegen noch mehr Tränen in mir hoch. Ich hörte immer wieder die eindringliche Stimme meiner Mutter, die mich warnte, was alles in meiner Ehe schieflaufen würde, sobald der erste Glanz einmal abgegangen war.
Also setzte ich die Brille wieder auf und tastete nach der Fernbedienung. Auf Kanal vierundfünfzig fand ich schließlich, wonach ich gesucht hatte: meine Mutter, deren perfekt geformter, üppig weiblicher Körper in einem engen Raumanzug steckte und die gerade dabei war, einer billigen Ausgabe von Steve McQueen den Kopf zu verdrehen.
»Ich bin nicht so, wie ich scheine«, warnte sie ihn, während sie ihre Arme um ihn schlang.
»Kleines, so wie ich mich im Augenblick fühle, wäre es mir sogar egal, wenn du ein fünfköpfiges Schlangenmonster aus dem Sumpfland der Venus wärst.«
»Wenn das so ist... dann küss mich.«
Ich machte es mir bequem, während meine Mutter ihr Opfer verschlang.
8
Ich bereute die Entscheidung, den nächsten Tag blauzumachen und meine Mutter zu besuchen, noch ehe ich bei ihr eingetroffen war. Auf dem Weg nach Pleasantvale dachte ich immer wieder an den Moment der Schwäche, als ich nach einer schlaflosen Nacht im Institut angerufen und mich krankgemeldet hatte. Vermutlich wäre es besser gewesen, zur Arbeit zu fahren, während der Visiten alles zu vergessen und die obligatorische Geburtstagskarte und den Kuchen beim Mittagessen entgegenzunehmen. Doch nachdem ich angerufen hatte, konnte ich meine Krankmeldung nicht mehr rückgängig machen. Die Vorstellung jedoch, wieder den ganzen Tag zusammen mit Hunter in der Wohnung zu sitzen und von ihm ignoriert zu werden, war derart unerträglich, dass mir meine Mutter die bessere Alternative zu sein schien.
Also nahm ich ein Taxi zur 125. Straße und wartete dort auf den Zug in die Vorstädte – gemeinsam mit einer ungeduldigen jungen Mutter und ihren zwei kleinen Kindern, einem mittelalten Mann mit einem Biologiebuch unter dem Arm und einer typischen Frau der Mittelschicht, die etwa sechzig Jahre alt sein mochte.
»Meine Tochter meinte, dieser Bahnhof sei sicher«, vertraute
sich mir die Matrone in ihrem Burberry-Regenmantel an. »Aber ich weiß nicht so recht.« Sie glättete sich das zitronengelbe Haar. »Er scheint ziemlich heruntergekommen zu sein. Finden Sie nicht?« Zu ihrer Linken brüllte die Mutter gerade ihre Kinder an: »Wenn ihr auch nur in die Nähe der Bahnsteigkante kommt, bringe ich euch um!«
»Bill Clinton hält die Gegend für sicher«, erklärte ich. »Er hat hier gleich in der Nähe ein Büro.«
»Er kann sich das auch leisten, überfallen zu werden.«
Ich musste lachen. »Ich besuche meine Mutter
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