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Wolfstraeume Roman

Wolfstraeume Roman

Titel: Wolfstraeume Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alisa Sheckley
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herauszuziehen.
    Während unserer letzten Wochen in New York hatte mein Mann, während ich bei der Arbeit war, unser Appartement derart gründlich aufgeräumt, als erwartete er einen Besuch der Geheimpolizei. Leider hatte er dabei meine medizinischen Bücher mit seinen Krimis und meine Unterwäsche mit seinen Turnschuhen zusammengeworfen. Die Jungs von Samson Movers hatten nach einem Hilferuf Gnade vor Recht walten lassen und uns etwas unter die Arme gegriffen. So wurden zumindest die Teller in Papier
gewickelt, ehe man sie verstaute, und nicht einfach mit anderem Krimskrams in eine Kiste gesteckt.
    Während der ersten Wochen in Northside hatte ich nur in einige wenige Kisten geschaut und mich dabei meist in alte Seminararbeiten und Kinderfotos vertieft. So verbrachte ich zahlreiche Stunden damit, in melancholischen Erinnerungen zu schwelgen.
    Aber ich hatte eine Entscheidung gefällt: Ich war mit Hunter hierher umgezogen und hatte beschlossen, mein altes Leben hinter mir zu lassen. Nun war es an der Zeit, hier auch wirklich anzukommen. Natürlich deprimierte es mich, keine Stelle zu finden und auch in nächster Zukunft keine in Aussicht zu haben. Aber trotzdem musste ich mich endlich zusammenreißen und weitermachen. Es war entwürdigend, voller Selbstmitleid herumzuhängen und wie ein Flüchtling aus ein paar Koffern zu leben. Außerdem erinnerte mich mein Verhalten unangenehm an das meiner Mutter. Ich war Abra Barrow: zupackend, vernunftgesteuert, pragmatisch.
    Ich machte mich also daran, die Umzugskisten im Gästezimmer in Angriff zu nehmen.
    Als Erstes sortierte ich alles in drei Gruppen: Dinge zum Wegwerfen, Dinge zum Aufheben und solche, bei denen ich Hunter erst fragen musste, was damit geschehen sollte. Nach einer Weile stieß ich auf eine Mappe, auf deren Deckblatt ich früher einmal >Briefe von Hunter< geschrieben hatte. Interessiert klappte ich sie auf und las.
    Mein süßes Nönnchen,
    ich male mir gerade aus, wie Du in der Bibliothek sitzt, sauber und ordentlich wie immer, in einem
Kleid mit vielen Knöpfen, die bis oben hin geschlossen sind. Du sitzt in einem großen Ledersessel und liest konzentriert in einem Anatomiebuch, während wahre Horden von nervösen Erstsemestern aus der Ferne nach Dir schmachten. Wie gerne würde ich Dich jetzt von Deinen Studien ablenken!
    Stattdessen finde ich gerade auf schmerzhafte Weise heraus, weshalb es sinnvoll ist, neue Wanderschuhe erst einmal einzulaufen, ehe man damit auf die große Reise geht. Wusstest Du übrigens, dass Zecken es sich besonders gern in den Schamhaaren gemütlich machen? In der ersten Nacht hielt ich sie noch für ein paar Leberflecke, die ich einfach früher nie bemerkt hatte.
    Meine frische Tulpe, vergiss nicht die Creme zu verwenden, die ich Dir für deine kleinen Hände und Füße gegeben habe. Und dann massiere gleich auch noch deine wunderbar festen Brüste und stell Dir vor, wie ich das tue.
    Leider werde ich in nächster Zeit stattdessen Blasen anstechen und mir wünschen, dass ich Dich anrufen könnte.
     
    In Liebe, Dein Hunter
     
    P. S. Es ist übrigens wirklich seltsam, die ganze Zeit über allein zu sein. Man merkt gar nicht, wie viel Zeit und Aufmerksamkeit man anderen Menschen widmet, mögen diese nun real oder fiktional sein (wie in Büchern oder im Fernsehen), bis man
sich auf einmal mit echter Stille auseinandersetzen muss.
    Als ich den Brief in die Mappe zurücklegte, fiel mir ein weiterer Brief auf, der dem Datum nach in Rumänien geschrieben worden sein musste. Allerdings hatte Hunter ihn mir nie geschickt.
    Abra,
    diese Reise ist eine der unglaublichsten, herzzerreißendsten und wunderbarsten Erfahrungen, die ich jemals gemacht habe. Ich wünschte, ich wüsste, wie ich Dir verständlich machen könnte, welche Veränderungen Transsylvanien und die Karpaten in mir bewirkt haben. Aber wie kann ich von einer Verwandlung sprechen, wenn diese noch nicht abgeschlossen ist? Magda, die Wolfsforscherin, die ich hier kennengelernt habe, hat mir erklärt, dass das Fieber, unter dem ich momentan leide, wieder sinken wird. Aber in meinem Herzen weiß ich: Ich kann niemals mehr in die Banalität des Lebens zurückkehren, das ich bis vor wenigen Monaten noch in New York geführt habe.
    Was mich zu der schwierigen Entscheidung führt, Dich zu bitten, unseren Steuerberater
    Mir fiel noch ein Stück Papier in den Schoß, auf das jemand mit einer kraftvollen, europäisch anmutenden Schrift notiert hatte:
    Vergiss nicht: Du darfst nichts

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