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Wolfstraeume Roman

Wolfstraeume Roman

Titel: Wolfstraeume Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alisa Sheckley
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überstürzen. Warte den Herbst ab. Vielleicht sogar den Winter. Und ruf mich erst an, wenn Du Dir ganz sicher bist.
    Ich brauchte keine Unterschrift, um zu wissen, wer das geschrieben hatte: Magda. Es stammte von der anderen Frau in Hunters Lebens, die, wie er mir versichert hatte, nichts mit seinen seltsamen Stimmungen oder dem plötzlichen Wunsch, aufs Land zu ziehen, zu tun hatte. Diese andere Frau in seinem Leben, die meinen Mann in ihren Bann gezogen hatte und das ganz offenbar noch immer tat.
    Ruf mich erst an, wenn Du Dir ganz sicher bist.
    Er hatte sich also nicht für mich entschieden. Er hatte sich nicht einmal fürNorthside statt für Rumänien entschieden. Diese Magda hatte ihm vielmehr befohlen abzuwarten, vermutlich bis sie beurteilen konnte, wie stark er sich in einen Wolf verwandelt hatte oder nicht. Und wie es sich für einen gehorsamen Hund gehörte, wartete er brav ab.
    Mit heftig pochendem Herzen legte ich die Briefe in die Mappe zurück. Diese warf ich wieder in die Kiste, aus der ich sie herausgeholt hatte, und stand auf. Mir war schwindlig. Ich lief in den Garten hinaus, wo der Herbst bereits seinen Höhepunkt erreichte. In der Nacht zuvor hatte ein starker Wind die roten und gelben Ahornblätter von den Bäumen gerissen. Ich rannte in den Wald und stieg den Hügel hinauf, vorbei an dem beschädigten Stacheldraht. In meinem leichten Pulli wurde mir kühl. Kletten blieben an meinem schwarzen Wollrock hängen, als ich mich durch hohes Gras kämpfte und die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Je höher ich stieg, desto weiter kam mir der bewölkte Himmel vor.

    Ich hatte schon immer ein Gespür für Richtungen besessen, auch wenn ich es oft vor mir selbst nicht zugab, dass ich genau wusste, wo ich war. Meine Füße fanden wie von allein den Pfad, den Red uns gezeigt hatte. Diesmal war es heller Tag, und die Bäume verloren ihr Laub. Ich stapfte über den Teppich aus Blättern und Fichtennadeln, bis ich die Blockhütte sah, die wir an jenem Abend nicht erreicht hatten. Es handelte sich um ein Haus aus unbehandelten halben Baumstämmen, das auf kurzen Pfosten stand. Bitte sei zu Hause, dachte ich. Red war der Einzige, bei dem ich mich nicht wie eine Idiotin fühlen musste, wenn ich erzählte, was ich soeben herausgefunden hatte. Da war ich mir sicher. Wenn man jemanden begehrt, hält man diesen Menschen nicht für einen Idioten – so einfach war das.
    Ich blieb vor der Haustür stehen und klopfte. Niemand antwortete. Ich klopfte erneut. »Hallo?« Dann drehte ich am Türknauf. Die Tür war unverschlossen. Als ich eintrat, sah ich sogleich, dass er tatsächlich nicht zu Hause war.
    Man erfährt viel über einen Menschen, wenn man sieht, wie er wohnt. Hunters Zimmer im Studentenwohnheim war so leer gewesen, als hätte dort niemand gelebt. Das hatte er im Grunde ja auch nicht. Er hatte sich in den Zimmern anderer häuslich eingerichtet. In Reds Hütte war es ganz ähnlich. Es handelte sich um das Zuhause eines Junggesellen, das kaum eingerichtet war. Auch Red schien vor allem irgendwo anders zu wohnen. Er hatte ein Bett mit einer indianischen Decke, einen schlichten Kieferntisch und zwei Stühle. Auf der Tischplatte war eine Patience ausgelegt. Außerdem gab es einen Teppich aus Schafsfell, einen kleinen CD-Spieler, einen umgedrehten Getränkekasten, auf dem ein paar zerfledderte Elmore-Leonard-Western lagen,
einen winzigen Camping-Kocher und einige Dosen Bohnen. Ich schaltete den CD-Spieler an. J. J. Cale sang mit seiner heiseren Stimme, dass er auf einmal weder lesen noch schreiben könne, sondern mich die ganze Nacht über lieben wolle. Klang nicht übel.
    Ich hörte etwas hinter mir und drehte mich hastig um. Doch es war niemand da. Nur die knarzende Tür wurde vom Wind hin und her gestoßen. Ich setzte mich auf Reds Bett. Ein modriger Geruch nach alter Wolle stieg mir in die Nase, wobei ich nicht wusste, ob er von der Decke oder dem Schafsfell auf dem Boden stammte. Seltsam, wie feuchte Wolle nach Hund riechen kann.
    Ich wünschte mir, Red wäre da. Vermutlich wollte ich getröstet werden. Oder seinen Rat hören. Mein Ego ein wenig streicheln lassen. Ich wollte begehrt werden. Aber Red war nicht da. Entweder kümmerte er sich irgendwo um wilde Tiere oder er beglückte gerade Jackie.
    Ich beugte mich zur Seite, um die Bücher auf dem Getränkekasten zu betrachten. Außer den Western gab es dort auch noch einen Band über nordamerikanische medizinische Kräuter, Ruf der Wildnis und eine

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