Wolfstraeume Roman
Ausgabe des Cosmopolitan. Hm. Ich schlug die Zeitschrift auf – es war die Seprember-Ausgabe – und stellte fest, dass der Artikel >Warum brave Mädchen böse Jungs mögen< mit einem Lesezeichen versehen war. Der Untertitel, den Red mit Leuchtstift rot hervorgehoben hatte, lautete: >Er ist liebenswert, ehrlich und will sich binden – warum langweilt er Sie trotzdem zu Tode?<
Armer Red. Die Antwort lag direkt daneben – in der mit vielen Eselsohren markierten Ausgabe von Jack London, dem Kräuterbuch und zahlreichen vergilbten >Ein Mann
muss tun, was ein Mann tun muss<-Romanen. Red gehörte zum Typus Dörrfleisch und weiße Unterhosen. Auch wenn ich wusste, dass ich selbst nicht übermäßig kultiviert war, so kannte ich doch den Unterschied zwischen einem Single-Malt und einem Tennessee-Whiskey, zwischen einem Essay und einer Kolumne oder einer eleganten Überleitung und einer hastig gefundenen Lösung. Ich wollte geliebt werden. Aber ich wollte auch einen Mann, dem man nicht das Ende eines Films erklären muss, wenn der Held zur Abwechslung einmal nicht in den Sonnenuntergang hineinreitet, die bösen Jungs besiegt werden und das Mädchen seiner Träume ihm bis ans Ende der Welt folgt.
Red gehörte eindeutig zur Kategorie Jack Daniel’s, also zu Kolumnen über aufregende Sportarten wie Angeln und Sonnenuntergängen in Filmen, wo die Welt noch in Ordnung war. Wenn er in Hunters Alter oder sogar noch jünger gewesen wäre, hätte ich ihn vielleicht anders beurteilt. Dann hätte er noch Zeit gehabt, sich zu ändern und auf andere Weise zu reifen. Doch trotz der überraschend jungenhaften Art, die er manchmal an den Tag legte, kam er mir eher wie Ende dreißig, ja möglicherweise sogar noch älter vor. Er hielt sich mit dem Erlegen von Schädlingen über Wasser und lebte ohne Strom. Solche Hindernisse ließen sich nicht einmal durch Cosmopolitan aus dem Weg räumen – das wusste ich mit absoluter Sicherheit.
Ich legte die Zeitschrift wieder an ihren Platz zurück, als mir einige Pfeile und Bögen auffielen, die da in einer Ecke lehnten. Die Pfeile hatten Metallspitzen und sahen gefährlich aus, so als würde man damit nicht auf eine Zielscheibe, sondern auf ein Tier schießen. Ansonsten konnte ich weder eine Falle noch Gift entdecken, was mich stutzig machte.
Wie konnte Red davon leben, wenn er nur mit Pfeil und Bogen gegen die Schädlinge ausrückt?
Ich sah mich ein letztes Mal um und fand noch etwas, das meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Die Patience war in einer Art Schildmuster ausgelegt, und auf den Karten waren Tierköpfe abgebildet. Sie sahen genauso aus wie die Karten, die meine Mutter benutzt hatte. Ich konnte einige der Tiere entdecken, die sie auch für mich gelegt hatte: Eule, Kojote, Wolf und etwas, das wie ein wilder Truthahn aussah. Gütiger Himmel, ich hoffte, dass er die Karten nicht für mich gelegt hatte. Was hatte meine Mutter nochmal gesagt? Eule, Kojote, Wolf... Magisches, das sich mir nähern sollte, etwas über den Kojoten als Betrüger und den Wolf als Führer?
War das nicht typisch? Offenbar entpuppte sich der erste Mann, der mit mir flirtete, als genauso durchgeknallt wie meine Mutter.
Ich wollte Reds Hütte nicht wieder verlassen, ohne ihm eine Nachricht zu schreiben. Sonst würde das zu sehr nach einem Spionieren aussehen. Doch ich konnte nirgendwo ein Stück Papier entdecken. Also suchte ich eine Hundekarte aus dem Kartenstapel und legte sie auf Reds Kissen, ehe ich die Decke glatt strich. Ich konnte nur hoffen, dass Red nichts gegen meinen Besuch einzuwenden hatte. Zumindest hatte ich so ein Zeichen hinterlassen und war nicht einfach wieder heimlich verschwunden.
Mein Gott, wie ich Heimlichkeiten hasste! Ich lief den Hügel hinunter und fühlte mich jetzt stark genug, Hunter mit den Briefen zu konfrontieren.
22
Es gibt eine sichere Methode herauszufinden, wer mehr Macht in einer Beziehung besitzt, und zwar indem man einen Streit anfängt. Einen Streit, bei dem man das Gefühl hat, völlig im Recht und tief verletzt zu sein. Dann kann man beobachten, ob der Partner, der sich eigentlich vor Scham winden und entschuldigen oder wenigstens die Güte haben müsste, aufmerksam zuzuhören, sofort in die Defensive geht, ob er einen wegen Eindringens in die Privatsphäre und Vertrauensbruchs attackiert und schließlich bezichtigt, die eigene Verunsicherung auf ihn zu übertragen – oder ob er das nicht tut. Wenn man danach versucht, das Gespräch wieder auf sein Verhalten
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