Wolfstraeume Roman
sollte. Aber diesen Gedanken behielt ich für mich.
»Du zitterst ja«, bemerkte Jackie. »Komm lieber rein und wärm dich auf.«
Sie öffnete die Trailertür. Zu meiner Erleichterung sah es im Inneren des Wohnwagens überraschend gemütlich aus. Es gab einen Tisch und eine Bank, ein Spülbecken und Arbeitsplatten sowie in einer Ecke ein Bett. Jackie stieg ein und holte gleich zwei Fertiggerichte aus einer Kühlbox. Sie zündete einen kleinen Gaskocher an, stellte einen Topf mit Wasser auf und legte dann die in Zellophan eingeschweißten Gerichte hinein.
»Du hast bestimmt Hunger. Ich hab nur diese Fertiggerichte hier. Das muss leider reichen.«
»Ich... äh... ich esse kein Fleisch.«
Jackie warf mir einen Blick über die Schulter zu. »Makkaroni mit Käsesauce in Ordnung?«
»Mehr als das. Klingt super. Hast du eigentlich einen Spiegel?«
»Da drüben.«
Ich stieg in den Trailer, stellte mich vor den Spiegel und betrachtete mein Gesicht. Erstaunlicherweise sah ich nach einem Tag der Auseinandersetzungen, des Weinens und des Wanderns gar nicht so mitgenommen aus, wie ich mich fühlte. Ehrlich gesagt, sah ich sogar ganz gut aus. Meine Wangen waren gerötet, meine Augen strahlten, und meine Haare wirkten etwas zerzaust. Meinen Pulli hatte ich am Dekolletee eingerissen, so dass das V noch tiefer ausgeschnitten war. Man konnte jetzt den oberen Rand meines weißen BHs sehen. Ich brauchte einen Moment, um den richtigen Ausdruck zu finden. Wild. Ich sah eindeutig wild
aus. Ich fasste meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen.
»Möchtest du ein Bier?«, fragte Jackie.
»Gern.« Ich wandte mich vom Spiegel ab und rutschte auf die Bank, die offenbar sowohl als Couch als auch als Küchenbank diente.
»Ist leider etwas warm. Das Eis in der Kühlbox ist mir geschmolzen.«
»Kein Problem.« Ich nahm einen Schluck warmes Bier. Irgendwie kam ich mir wie bei einem echten Abenteuer vor, obwohl ich nur eine Nacht lang in das Leben eines anderen Menschen hineinschnuppern würde. Zugegebenermaßen klang das nicht gerade irrsinnig aufregend, aber für mich bedeutete es eine echte Abwechslung.
Ich blickte mich um. Die Teller und Becher waren kleiner als in einem gewöhnlichen Haushalt und ordentlich ineinander gestapelt. Der Wohnwagen strahlte einen eigentümlichen Charme aus. Ich kam mir fast wie bei den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen vor.
»Ich bin noch nie zuvor in einem Trailer gewesen«, gab ich zu. »Alles ist so klein hier.«
»Der Trailer ist schon verdammt alt«, entgegnete Jackie entschuldigend.
»Aus den Fünfzigern?«
»So alt dann auch wieder nicht. Aus den Siebzigern. Hier.« Sie holte die beiden Fertiggerichte aus dem inzwischen kochenden Wasser und zog die Folien ab. Dann reichte sie mir mein Essen, das auf einem kleinen Alutablett mit verschieden großen Vertiefungen verteilt war. Außer den Makkaroni mit Käsesauce gab es gekochte Karotten und einen kleinen Schokoladenpudding.
»Danke. Könnte ich vielleicht zuerst dein Telefon benutzen?«
»Natürlich.« Der Telefonapparat hatte noch eine Drehscheibe. Jackie schaltete einen winzig kleinen Fernseher an, während ich wählte. Nach dem fünften Klingeln schaltete sich der Anrufbeantworter ein.
»Hunter? Hallo? Hier ist Abra. Mach dir keine Sorgen um mich. Ich übernachte heute bei Jackie. Hab mich auf einer Wanderung verlaufen. Morgen früh bin ich wieder zurück.« Ich bemühte mich darum, so sachlich wie möglich zu klingen. »Falls du mich anrufen willst, wenn du wieder zurück bist – die Nummer hier ist...««
Ich hielt Jackie den Hörer hin, und sie sprach ihre Telefonnummer auf.
»Also, mach dir keine Sorgen. Gute Nacht.« Ich legte auf, ohne ihm zu sagen, dass ich ihn vermisste – was ich bisher noch nie vergessen hatte.
Nachdem wir die kleinen Gerichte verspeist hatten, gab es nichts mehr zu tun. Obwohl es erst acht Uhr abends war, fühlte es sich eher wie Mitternacht an. Ich warf die Alutabletts in den Abfall, und Jackie klappte die Bank auf und den Tisch weg. Nun war die Sitzecke zu einem Bett geworden.
»Ich geh nach draußen, um noch eine Zigarette zu rauchen. Außerdem kann man hier auch nur im Freien aufs Klo. Ich habe zwar laufendes Wasser zum Zähneputzen und so, aber ich hasse es, die Toilette leeren zu müssen. Wenn es dir also nichts ausmacht...«
»Klar, ich komme auch nach draußen.«
Wir traten hintereinander ins Freie, wo die Grillen ein kleines Konzert veranstalteten. Ein Kratzen und ein Funken, und dann
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