Wolfstraeume Roman
Horde wild gewordener Waschbären angegriffen werden – oder etwa doch?
Red trat aus dem Schatten der Bäume.
»Bist du dir sicher?«, wollte Jackie wissen. »Den ganzen Weg? So ohne T-Shirt?«
Ich hatte mich auch schon gewundert, dass Red nur ein Paar zerfetzte Jeans trug, es aber nicht gewagt, ihn nach dem Grund seiner spärlichen Bekleidung zu fragen.
»Ja, ich bin mir sicher. Sie sollte heute Nacht lieber zu Hause sein.«
Jackie schüttelte den Kopf. »Du bist ein Trottel, Red. Weißt du das eigentlich? Warum lässt du sie nicht einfach hier übernachten?«
»Das weißt du genau.«
»Ihr Mann wird sie bestimmt nicht wutentbrannt suchen, wenn du das befürchtest. Du hast doch selbst gesehen, wie er war.«
Mein Mund fühlte sich trocken an. Ich versuchte Reds Reaktion zu deuten, doch sein Gesicht war in der Dunkelheit nicht gut zu erkennen.
»Das war damals. Heute Nacht könnte es ganz anders sein.«
Ich räusperte mich. »Also – Hunter ist nicht gerade der Typ, der schnell eifersüchtig wird. Falls du dir Sorgen machst, dass er durchdrehen könnte, weil ich mal eine Nacht weg bin, dann irrst du dich.«
Red trat ins Licht, das aus dem Trailer kam. Ich konnte einen Schweißfilm auf seinem Gesicht und seiner Brust erkennen. »Das kann man nie wissen, Abra«, erwiderte er. »Menschen ändern sich.«
»Ich glaube aber nicht, dass er sich in dieser Hinsicht ändern wird.«
»Möchtest du lieber hierbleiben?«
Ich warf einen Blick auf den Trailer. »Na ja, wenn es gefährlich ist...«
Red gab ein spöttisches Lachen von sich. »Mit mir ist es nicht gefährlich. Sag es ihr, Jackie. Sag ihr, dass sie sich nicht in Gefahr begibt, wenn ich sie nach Hause bringe. Los, mach schon.«
Für einen Moment herrschte Schweigen. Ich drehte mich zu meiner Gastgeberin um. Sie wirkte plötzlich älter als zuvor. »Bei Red bist du sicher, Abra.« Dann drehte sich sich um, schlug die Tür hinter sich zu und ließ mich mit ihrem Exfreund, dem angeblichen Schamanen, allein.
»Ich will nicht der Auslöser für einen Streit zwischen euch sein«, sagte ich.
Red lachte. »Du bist nicht der Auslöser für diesen Streit.«
»Aber ich will nicht, dass sie sich...«
Er legte die Hand auf meinen Arm. Mir lief ein wohliger Schauder über den Rücken. »Sei einfach still, Doc«, unterbrach er mich mit einer solchen Zärtlichkeit in der Stimme, dass ich vergaß, wie unhöflich er sich eigentlich benahm. »Gehen wir lieber.«
Damit drehte er sich um und verschwand in der Nacht. Ich folgte ihm, ohne noch länger zu zögern.
25
Wie ein Automat lief ich den ganzen Weg entlang – immer einen Fuß vor den anderen setzend und den Kopf gesenkt, um nicht über eine Wurzel oder einen Stein zu stolpern. Red blieb zwischendurch stehen und wartete auf mich. Einmal musste ich mich an seinem Gürtel festhalten, als wir eine Böschung hinunterschlitterten. Ich spürte, wie sehr er sich meiner Gegenwart bewusst war, und als wir schließlich anhielten, keuchte er heftiger, als vermutlich nötig war.
»Alles okay?« Ich legte die Hand auf seine Wange, damit er mich ansah, auch wenn es sich gleichzeitig irgendwie seltsam anfühlte. Ich wusste, dass er mich gern küssen würde, und ich wollte auch, dass er mich küsste. Ich wollte zwar nicht, dass er mit mir schlief, aber ich wollte doch, dass er mich küsste. Noch nie zuvor hatte ich etwas Ähnliches erlebt, und dieses Wissen, leidenschaftlich begehrt zu werden, verlieh mir ein ungewohntes Gefühl der Selbstsicherheit.
»Nein. Nichts ist okay.« Er legte seine Hand auf meine Finger und betrachtete mich einen Moment lang voller unverhohlener Bewunderung. »Meine irische Oma hätte gesagt, heute Nacht sind die Geister unterwegs.«
»Glaubst du das auch?«
»Northside ist ein Ort, wo man an so etwas zu glauben beginnt. Wusstest du, dass unter den Kornfeldern am östlichen Ortsrand eine große unterirdische Höhle liegt? Wir machen keine Werbung dafür, wie das sonst üblich ist, und dafür gibt es auch einen guten Grund. Dort überschneiden sich nämlich verschiedene Welten. Ich kann dir eines sagen, Abra: Mein Beruf sieht hier ganz anders aus, als er das an anderen Orten täte.«
»Ich glaube nicht an solche Gruselgeschichten«, erklärte ich abwehrend.
»Warum hältst du dann noch immer meine Hand fest?«
Hastig riss ich mich los, und wir gingen weiter. Das heißt, er ging weiter, und ich stolperte weiter. »Ich kann nichts mehr sehen.«
»Dann nimm meine Hand.«
»Um deinem Ego zu
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