Wolfstraeume Roman
Augen. »Für einen Moment habe ich dich für einen dieser Städter gehalten, die immer wieder hier hochkommen und versuchen, eines meiner Babys für Halloween zu stehlen. Man weiß nie, auf welche fürchterlichen Ideen Leute kommen können, wenn sie sich langweilen. Der schwarzen Katze meiner Freundin wurden vor fünf Jahren die Augen ausgestochen.«
»Mir war nicht mal klar, dass schon wieder Halloween ist.« In New York sah man vor Sonnenuntergang viele Kinder in leuchtend bunten Superhelden- und Prinzessinnenkostümen und mit ausgehöhlten Plastikkürbissen. Doch hier hatte ich noch kein einziges gesehen.
»Du hast großes Glück gehabt, dass dir die Hunde nicht an die Gurgel gegangen sind. Wenn Red dich nicht rechtzeitig gesehen hätte...«
»Red?«
»Dieser rote Bursche da.« Sie zögerte. »Nach Red benannt. Wegen seiner Fellfarbe, weißt du. Und wegen seines Charakters. Er ist ein guter Junge. Das bist du doch, nicht wahr, mein Red?«
Das Tier hob seine Schnauze, als Jackie ihm die Ohren kraulte. Dann sah er mich mit seinen klugen, traurigen Augen aufmerksam an.
»Sind das alles Wolfshybriden, Jackie?«
Die Frau hielt die Augen weiterhin auf das Tier gerichtet. »Braver Junge, guter Junge. Ja, das bist du, ein braver Junge. Wer ist deine Mama? Wer ist deine Mama?« Sein Schwanz wedelte. Doch immer wieder warf er mir einen
dieser schuldbewussten Hundeblicke zu, die bedeuteten, dass er einfach nicht anders konnte.
»Züchtest du sie?«
Jackie richtete sich auf und sah mich mit verkniffenem Mund an. »Nein, ich züchte sie nicht. Ich rette sie vor den Idioten, die glauben, sie hören den Ruf der Wildnis – und die dann in Panik ausbrechen, sobald sich ein Tier einmal nicht ganz so verhält, wie sie sich das vorstellen.«
Ein paar der Hybriden spürten die Anspannung ihres Frauchens und knurrten erneut leise. »Tut mir leid, ich wollte dich nicht beleidigen.«
»Ich weiß. Ich habe es nur satt, mich ständig rechtfertigen zu müssen.« Sie seufzte, während sie ihre Hunde beobachtete. »Hört auf.« Das Knurren um mich herum verstummte ruckartig, als wäre ein Schalter umgelegt worden. »Viele Leute haben etwas dagegen, dass ich mich um diese Burschen kümmere. Denen ist völlig egal, warum ich das mache.«
Das Laub in den Bäumen rauschte, die Luft wurde deutlich kälter. Ich bekam eine Gänsehaut. Ich drehte mich um und stellte fest, dass die Schatten der Bäume länger geworden waren. Ein herbstlicher Mond, rötlich und voll, erhob sich über den düsteren Baumkronen.
»Ich sollte lieber wieder zurück.«
»Dafür ist es jetzt zu spät. Du wirst den Pfad nicht mehr sehen.«
»Aber Hunter...«
»Den kannst du anrufen. Ich habe nämlich Telefon, weißt du.«
Ich lächelte, wobei ich nicht wusste, ob sie mich in dem Zwielicht überhaupt noch richtig sehen konnte. Wir standen
ziemlich weit voneinander entfernt. »Ich möchte dir keine Umstände machen, Jackie...«
»Es ist trotzdem zu spät. Du musst die Nacht hier verbringen. Ich habe meinen Jeep etwa einen Kilometer entfernt geparkt. Aber bis ich wieder zurückkommen würde, wäre es bereits stockdunkel.«
»Du gehst also abends nie weg?«
»An Halloween garantiert nicht.« Sie drehte sich um und marschierte zum Trailer. Ich beobachtete, wie sich die schlanke Gestalt von Red, dem Wolfskojoten, von der restlichen Gruppe löste und in der Nacht verschwand. Vermutlich suchte er nach den anderen seines Rudels.
»Wenn ich schon hier bin, könnte ich mir doch gleich auch mal Pia ansehen«, schlug ich vor.
Jackie wandte sich zu mir um. Nachdenklich zündete sie sich eine Zigarette an. »Das wäre nett.« Sie stieß einen Pfiff aus und schnippte mit den Fingern. Die geschmeidige Hündin eilte sogleich an ihre Seite. Ich untersuchte das Tier, so gut das ohne die richtigen Instrumente ging. Eines war jedenfalls eindeutig. Sie verlor sowohl an den Läufen als auch am Bauch ihr gesamtes Fell.
»Das sieht mir ganz nach einer Art Hautallergie aus«, sagte ich. »Aber auch ihr Bauch scheint zu schmerzen. Es wäre das Beste, sie röntgen zu lassen...«
»Das geht nicht. Hier in der Gegend jedenfalls nicht.« Jackie trat ihre Kippe aus. »Die behaupten, dass sie jemanden gebissen hätte.«
Ich überlegte. »Vielleicht könnte ich meinem früheren Chef eine Mail schreiben. Er hat oft hilfreiche Ideen.« Vor allem wenn Malachy Knox angenommen hatte, dass man Pia allein zurückgelassen hatte und er sie doch für eines
seiner Experimente benutzt haben
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