Wolfswechsel - Aktionspreis für begrenzte Zeit (German Edition)
Jungen ein, zu tun, was ich ihm sagte. Ganz gleich, was es auch sei.
Max reagierte kaum darauf. Trieb nur schnalzend die Pferde an.
Später der dunkle Rauch über den Bäumen. Steffens hatte den Kadaver des Wolfs mit Spiritus übergossen und angezündet.
Ich trug Uniform und Mantel des Hauptmannes und seit gut fünf Stunden vermehrte sich das Erbe des toten Wolfs in mir. Meine zum Zerreißen gespannten Nerven spielten mir Streiche. Ich weiß, dass es nicht die ersten Symptome meiner Infektion gewesen sein können, die meine merkwürdige Empfindsamkeit auslösten.
Dennoch: Fast meinte ich, die Bilder, die ich sah, hinterließen sanfte Abdrücke auf Hirn und Haut.
Ich kam mir vor wie zweigeteilt. Mein eigentliches Ich schien sich in einer weit von mir entfernten Kammer verkrochen zu haben. Und ein ungebetener Fremder zwischen Max und mir auf dem Kutschbock Platz genommen zu haben.
Wahrscheinlich nichts weiter als eine Panikreaktion. Ich bin kein Psychiater.
Über uns der Himmel, feindselig und leer. Bevölkert von Vögeln, deren schrille Rufe die Luft durchschnitten.
Später Nachmittag. Eine breite Schneise, die sich vor den Pferden öffnete – die Straße zur Stadt.
Max musste sich heimlich aus Steffens Knasterbeutel bedient haben. Er drehte sich eine Zigarette.
Es sei ihm egal, was Catherina, oder Steffens sagten. Aber auch wenn er tat, was er versprochen hatte, hoffte er doch, dass sie mich in der Stadt an irgendeine Wand stellten. „ICH weiß, was ich tue, wenn die Russen kommen“, sagte er. „ICH laufe nicht weg.“
Max war vierzehn Jahre alt. Ein Krüppel, dem man immer wieder zu deutlich gesagt hatte, dass er von dem ganz großen Spiel, dem Krieg, ausgeschlossen war.
Und dann ich, der Soldat, der Hauptmann, von dem er glauben musste, er habe das Spielfeld, auf dem er so gern einen Platz eingenommen hätte, aus purer Feigheit verlassen.
Kein Wunder, dass er mich verachtete.
Die Straße war breit und voller Reifenspuren. Am Straßenrand sah ich eine bleiche Dogge. Um den Hals ein breites Band. Die Zähne in einem letzten Knurren gefletscht. Auf ihrer Flanke ein bräunlich rotes Netz aus geronnenem Blut.
Schließlich, hinter einer sanften Biegung, die Vorgärten kleiner geduckter Ziegelhäuser. Leere Fensterhöhlen zweier nebeneinander stehender Häuser, aus denen zerfaserte Gardinen heraus in die Vorgärten wehten.
Hinter der Biegung ein Anblick, der mich unwillkürlich ans Lager erinnerte: An einem grob gezimmerten Galgen, die Leiche einer jungen Frau. Den Kopf kahl rasiert, Hände und Füße gefesselt, schwang sie unmerklich am Seil. Um ihren Hals ein Pappschild, dessen Beschriftung wässrig blau zerlaufen, keinerlei Sinn mehr ergab.
Das Bild der jungen Frau am Seil allein hätte sich mir vielleicht gar nicht mal so tief ins Gedächtnis eingeschnitten. Doch gegenüber des Galgens stand ein Mädchen in Mütze und Mantel auf einem Balkon. Gerade dabei, das Bild der Frau am Galgen aufs Papier ihrer Staffelei zu übertragen.
Und selbst das hätte ich vielleicht längst vergessen.
Doch sobald Max den Galgen entdeckte brachte er den Wagen zum Stehen. Und starrte ungläubig minutenlang auf die Leiche. Vergeblich versuchte ich ihn dazu zu bringen, die Pferde wieder anzutreiben.
Mir war der Tod so vertraut, dass ich eine Weile brauchte, bis mir klar wurde, dass die Frau am Seil die erste Leiche sein musste, die Max in seinem Leben zu Gesicht bekommen hatte.
Den Tod begreifen muss jeder allein. Selbst, falls ich es wirklich gewollt hätte - ich hätte ihm mit nicht dabei helfen können.
Zweistöckige Backsteinhäuser, kleine Gärten und Zäune davor. Ein nettes Provinzstädtchen. Doch auf den Bürgersteigen standen hier und da zurückgelassene Möbelstücke und in einigen Häusern wehten zerfranste Gardinen aus dunklen leeren Fensterhöhlen. Auf einem Kleiderständer an der Straße hing ein Zylinder, vom Frost mit einer schillernden zweiten Haut überzogen. Auf einem Küchentisch stand Geschirr, Tassen und Teller voller Schnee. Irgendwo hinter dem Gitter eines Gartentores ein abgezehrter Hund, der nicht mal mehr genug Kraft hatte unsere Pferde zu verbellen.
Dann eine Kreuzung, hinter der wir in eine breitere Straße mit kleinen Geschäften einbogen. Die meisten Schaufenster waren entweder vernagelt oder eingeworfen.
Hinter dem Kirchturm schimmerten rötliche Streifen zwischen grauen Wolkenlücken hervor.
Die meisten Orte haben so etwas wie ein Herz, irgendetwas ist an ihren
Weitere Kostenlose Bücher