Wolfswechsel - Aktionspreis für begrenzte Zeit (German Edition)
wie es vorgeschrieben war, meine Hand über die Augen, wiegte wie eine Mutter, die ihrem Kind ein Schlaflied singt, den Oberkörper hin und her und begann leise jene ersten uralten Worte zu flüstern. Es war nicht so, dass ich in mir erst hätte nach ihnen suchen müssen. Sie kamen von ganz allein. Ohne es zu ahnen hatte ich sie all die Jahre irgendwo in mir aufbewahrt. Vielleicht einzig für diesen Moment.
„ JITGADAL VEIJTKADASCH SCH`MEI RABAH.“
Plötzlich riss Catherina mir mit einem bösen Funkeln in den Augen, die Hand vom Gesicht. Überrascht von der Kraft die in ihrem Angriff lag, stolperte ich ein paar Schritte von den Gräbern weg.
„ WAS tust Du da? BETEN? Ausgerechnet HIER?“
Entgeistert starrte ich sie an. Ihre Augen voller Zorn und Wut, deren Herkunft ich mir nicht erklären konnte.
„ DU hast nicht das Recht HIER zu beten! Du bist doch an allem schuld! Wenn du nicht gekommen wärst, würden sie beide noch leben! Was hast du noch zu Steffens gesagt? Sie hätten euch in den Lagern wie Lämmer an die Schlachtbank geführt? Ihr habt es doch gar nicht anders verdient! Ich will eure dreckigen Gebete hier nicht hören, verstehst Du? Verschwinde – Hau ab! Lass uns allein!“
Die Angst kam still wie ein Dieb. Doch in dem Augenblick, als ich sie als das, was sie war, erkannte, wurde mir klar: Catherina war drauf und dran irrsinnig zu werden.
Ich schlug ihr mit aller Kraft ins Gesicht. Sie fiel, rappelte sich wieder auf. Schlug ihre Hände vors Gesicht. Blut, das ihr in feinen Fäden aus Nase und Mundwinkel tropfte.
Ich trat zu ihr, beugte mich herab, nahm sie in den Arm. Wie ein Kind auf der Suche nach Beistand und Trost kroch sie tiefer und tiefer in meine Umarmung hinein.
„ Steffens hat nach Holger und Sebastian gerufen, als sie ihn an die Stalltür nagelten. Irgendwann auch nach dir. Ich konnte es nicht ertragen. Er war doch so stark. Es konnte doch nicht sein, dass sie ihn töten, oder? Ich hatte solche Angst. Aber ich konnte nichts tun. Es war als rissen sie mir bei lebendigem Leibe das Herz heraus….“
Ich küsste sie. Flüsterte, dass ich ihr glaubte.
„ Sie hatten mich aufs Bett gefesselt. Der mit den Stiefeln war der Erste. Er hatte ein Bajonett in der Hand. Er hat gesagt entweder das oder sein Schwanz.
Wir haben sie nicht kommen hören. Sie waren einfach da. Ich weiß nicht, was sie mit Max gemacht haben, er ist erst nach unten gerannt, als die Tiere zu schreien anfingen.“
Ich vergrub meine Hand in ihr Haar. Küsste ihr die Tränen aus dem Gesicht.
Die kleine preußische Prinzessin, mit den grünen Augen und dem langen kastanienfarbenen Haar, die von Prinzen in Uniformen träumte, den Lichtern der Stadt und der Stille am Morgen, starb in meinen Armen einen minutenlangen Tod.
Ich weiss nicht mehr, wie lange es dauerte, bis sie sich aus meiner Umarmung löste. Hinter den Gräbern scharrten die Pferde fahlgelbes Gras unter dem Schnee hervor.
„ Keiner wird die Russen aufhalten, oder?“
Catherina hatte die Hände tief in den Taschen des Mantels vergraben und starrte ausdruckslos zum Wald.
„ Nein. Es kann nicht mehr lange dauern. Im Lager haben sie schon vor Wochen damit gerechnet. Vielleicht versuchen sie es zuerst weiter im Süden. Aber kommen werden sie. Ihr habt nichts mehr, das sie aufhalten könnte. Der Krieg ist verloren.“
Ich legte zwei Hölzer zu einem Kreuz übereinander. Suchte Nägel aus meinen Taschen hervor.
„ Im Mai ist ein Unteroffizier gekommen. Er hatte einen Arm verloren. Man hatte ihn in die Etappe nach Dresden verlegt. Sebastian bat ihn einen Brief für mich zu überbringen. Der Mann diente in seiner Einheit.
Ich wollte nicht wahrhaben, was Sebastian da schrieb. Aber der Mann sagte, es sei alles wahr. Sebastian verlangte, dass wir packten und nach Westen zu den Amerikanern gehen. Ich habe Steffens und dem Jungen nichts davon erzählt.“
Ich griff nach dem Hammer, trieb Nägel in das morsche Holz.
„ Steffens hat immer gesagt, dass es diesmal wieder so komme, wie beim letzten Mal. Nach ein paar Wochen ist der Spuk vorbei. Ich habe Sebastian so lange nicht gesehen. Und Steffens war all die Jahre hier bei mir. Ich konnte einfach nicht glauben, dass er sich irren sollte.“
Ich richtete das Kreuz auf. Platzierte es am Kopfende von Max Grab.
„ Dann glaub wenigstens MIR: diesmal WIRD es anders kommen. Diesmal werden sie nicht eher Ruhe geben, bis sie ihr Blut mit eurem abgewaschen haben. Was immer in dem Brief gestanden hat:
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