Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)
vergangen …«
»Sie sollten sich keine falschen Hoffnungen machen, schließlich wissen wir beide …«
»Was denn, mein Lieber? Was wissen wir wirklich? Dass sie hier gelebt hat, dass sie verschwunden ist, dass ihr Kind heute neun Jahre alt wäre – oder gestern, oder morgen – ich kenne das genaue Geburtsdatum nicht.«
»Niemand weiß, ob es überhaupt zur Welt gekommen ist. Höchstwahrscheinlich nicht.«
»Warum besuchen Sie mich dann Jahr für Jahr? Warum stellen Sie weiterhin Fragen, als würden Sie immer noch damit rechnen, sie irgendwann zu finden?«
Patrick errötete, die Sommersprossen wurden rot wie ein Sonnenbrand. Seine blauen Augen funkelten in der Sonne. Vielleicht bedauerte er, dass er ihr von bestimmten Aspekten seiner Ermittlungen, seinen schlaflosen Nächten, seiner Ehe erzählt hatte, die an der Besessenheit gescheitert war, mit der er diesen Fall aufzuklären versuchte. Maeve hatte immer wieder behutsame Anläufe gemacht, ihm die Unsinnigkeit seines Bestrebens vor Augen zu führen, noch im Ruhestand nach einer verschwundenen Frau zu fahnden, die er, wenn er ehrlich war, tief in seinem Herzen für tot hielt.
Maeve fand seine Beweggründe einfach nicht glaubwürdig.
»Was sagt eigentlich Angelo dazu?«, fragte sie.
Er stieß einen leisen Pfiff aus und schüttelte den Kopf, so dass ihm die roten Haare in die Augen fielen. »Das war ein Schlag unter die Gürtellinie, Maeve.«
»Haben Sie mir nicht erzählt, Angelo sei Ihr Freund und bemüht, Sie davon zu überzeugen, dass Sie einem Phantom nachjagen, wenn Sie immer noch nach meiner Enkelin fahnden?«
»Erstens fahnde ich nicht nach ihr. Der Fall ist abgeschlossen, und abgesehen davon befinde ich mich im Ruhestand. Und zweitens ist Angelo ein Arschloch.«
»Tatsächlich? Ich dachte, er sei Ihr Freund.«
Patrick nickte. Er stand direkt vor ihr, und sie setzte sich ein wenig schräg, so dass sein Kopf sie vor der Sonne abschirmte, die ihr in die Augen schien.
»Ist er. Aber wenn es darum geht, einen Fall zu lösen, hat er von Tuten und Blasen keine Ahnung. Flora! Weg von dem verdammten Seetang! Sonst stinkt mein Wagen wie der Strand bei Ebbe.«
Maeve strahlte. Sie hatte keine Ahnung, warum sie es erheiternd fand, Patrick Murphy fluchen zu hören. Normalerweise hielt sie nicht viel von solchen Lästerungen. Vermutlich war sie deshalb bei ihm so nachsichtig, weil sie Ausdruck seiner Leidenschaft waren, mit der er den Traum von Mara am Leben erhielt – auch wenn er ihr das Gegenteil weismachen wollte.
»Hunde lieben meine Klippen. Wo waren wir stehen geblieben – ach ja, bei Angelo.«
»Er hat keinen blassen Schimmer von meinen Fällen.«
»Er ist ja auch nicht im Strafvollzug tätig. Was könnte er schon darüber wissen, genau genommen.«
»Nicht viel. Was ist denn das?«
»Die hier?« Maeve hielt ihre pinkfarbenen Gartenhandschuhe in die Höhe. Aber er schüttelte den Kopf.
»Das da«. Er deutete auf die Gießkanne.
»Oh. Ich habe gerade die Rosen gegossen.«
»Ziemlich antiquiert, die Gießkanne. Gelb. Ungewöhnlich.«
»Hmm.« Maeve zog hastig ihre braune Sonnenbrille herunter, die sie auf den Kopf geschoben hatte. Gerade rechtzeitig, dachte sie. Das Letzte, was sie wollte, war, dass dieser junge Mann sah, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Sie hustete sicherheitshalber und stieß die gelben Stiefel mit dem Fuß unter die Bank. Flora, ihrem eigenen Zeitgefühl folgend, trennte sich von den Gezeitentümpeln und vom Seetang, um sich tätscheln zu lassen. Und während das geschah, schnüffelte sie an den Stiefeln.
»Und was ist das?« Er sah, wie sein Hund die Gummistiefel abschleckte.
»Es reicht«, sagte sie – zu Patrick, nicht zu Flora.
»Maeve.«
»Bedeutet der Ausdruck ›Die Flamme der Hoffnung bewahren‹ nicht das Geringste für Sie? Und Sie wollen ein sentimentaler Ire sein?«
»Ich bin realistisch.«
»Ah ja, Ihr rauhbeinigen irischen Polizisten könnt natürlich nicht begreifen, wie jemand hoffen kann, dass die seit langem verschwundene Enkelin mitsamt der Urenkelin nach Hause zurückkehrt. Ihr habt alle Hände voll damit zu tun, Gespenstern nachzujagen.«
»An dem Tag, als sie verschwand, trug sie die Stiefel und benutzte die Gießkanne«, sagte er, jeder Hauch von Farbe war aus seinem Gesicht gewichen.
»Richtig.«
»Ich hätte sie Ihnen nicht aus der Asservatenkammer zurückbringen dürfen. Sie sollten sie wegwerfen, Maeve, zu Ihrem eigenen Besten.«
»Niemals.«
»Maeve, wir haben
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