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Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)

Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)

Titel: Wolken über dem Meer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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wenn man sich beispielsweise unglücklich, traurig, wütend oder verletzt fühlte. Aber sie konnte es einfach nicht ertragen, ihre Mutter mit Sorgenfalten auf der Stirn zu sehen – und deshalb täuschte sie lieber ein Lächeln vor.
    »Mom? Hast du mit Dr. Colvin gesprochen?«
    »Ja. Er meint, dass du große Fortschritte machst. Er hat sich mit Dr. Garibaldi in Boston wegen des Operationstermins in Verbindung gesetzt.«
    »Ich will nicht nach Boston, Mom.«
    »Aber Schatz …«
    Rose ballte die Fäuste. Ihre Fingerspitzen waren ständig taub, weil ihr Herz nicht schnell genug die erforderliche Menge Blut durch ihren Körper pumpen konnte. Ihre Fingerspitzen sahen sonderbar aus, wie kleine Paddel. Sie versuchte, das aufgesetzte Lächeln zu halten, aber innerlich war ihr zum Weinen zumute.
    »Der Sommer hat begonnen«, sagte sie. »Jessicas erster Sommer auf Cape Hawk. Ich habe den Klinikaufenthalt doch schon hinter mir. Ich wusste, dass er erforderlich und eingeplant war, aber jetzt reicht es. Ich will nach Hause, Spaß haben, Mom. Spaß mit Jessica.«
    »Ich weiß, Schatz. Das wirst du auch. Deshalb muss die Operation sein – um den Flicken zu ersetzen, so dass du allen Spaß der Welt haben kannst.«
    Rose blickte sie schweigend an. Sie wollte ihrer Mutter gerne glauben. Sie hatte im Laufe der Jahre schon so oft im Krankenhaus gelegen. Zum Beispiel, als sie fünf gewesen war und einen Herzklappenersatz brauchte; im Anschluss hatte sich die Herzinnenhaut entzündet – eine bakterielle Infektion, für die Menschen mit Herzproblemen besonders anfällig waren. Sie hatte Monate in der Klinik verbringen müssen und intravenös Antibiotika erhalten, die Nieren und Leber schädigten und ihre Haare austrockneten. Sie hatte wie eine Strohpuppe ausgesehen.
    »Jessica wird sich eine andere Freundin suchen«, sagte sie.
    »Mit Sicherheit nicht.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Wer könnte eine bessere Freundin sein als du?«
    »Ein Mädchen, das nicht im Krankenhaus ist.«
    »Schatz, warum bist du so niedergeschlagen?«
    Rose holte ein paar Mal tief Luft, aber es fiel ihr zusehends schwerer, das Lächeln auf ihrem Gesicht beizubehalten. Sie hatte allen Grund, niedergeschlagen zu sein. Ausgerechnet bei ihrer Geburtstagsparty, die einmalig, ja geradezu magisch gewesen war – da hatte ihr Herz versagt. Die Medikamente stabilisierten sie zwar, aber sie fühlte sich immerzu wie gerädert. Und statt den Sommer auf Cape Hawk verbringen zu können, stand die Verlegung in die nächste Klinik bevor – die große in Boston. Jessica würde sie wahrscheinlich abschreiben.
    »Das war eine ziemlich dumme Frage, nicht wahr?«, sagte ihre Mutter.
    »Nein. Sie war nicht dumm. Es tut mir leid.«
    »Rose, du musst dich nicht entschuldigen. Du hast so viel durchgemacht und musst ständig neue Herausforderungen bewältigen. Kein Wunder, dass du …«
    Die Stimme ihrer Mutter bebte, und sie wirkte selbst so niedergeschlagen, als hielte sie nur mühsam die Tränen zurück. Roses Blick schweifte über die Schulter ihrer Mutter, als sie plötzlich eine Gestalt im Türrahmen entdeckte, die ihr ein aufrichtiges Lächeln entlockte – das erste, seit sie hier war.
    Dr. Neill stand auf der Schwelle, ein riesiger Strauß Luftballons, so bunt wie ein Regenbogen in der Hand.
    »Dr. Neill!«
    »Hallo, Rose.« Er eilte zur ihr, beugte sich hinab und strich ihr über die Stirn. »Wie geht’s meinem Mädchen?«
    »Ich bin froh, dass du gekommen bist«, erwiderte sie und traute dabei kaum ihren Augen. Warum hatte ihre Mutter kein Wort gesagt?
    »Ich war die ganze Zeit hier. Du bist ein Phänomen, Rose. Ich dachte, du wärst noch auf der Intensivstation, doch als ich an der Rezeption nachfragte, sagte man mir, dass du bereits verlegt worden wärst.«
    »Du warst die ganze Zeit hier, seit ich in der Klinik bin?«
    Er nickte. Rose warf ihrer Mutter einen überraschten Blick zu, die stumm dastand, bemüht, eine Unschuldsmiene aufzusetzen.
    »Wie geht es Nanny und den anderen Walen und Haien? Musst du nicht dort sein und sie überwachen?«
    »Nanny hat mir gesagt, das hier sei wichtiger.«
    »Wale reden nicht.«
    »Nanny und ich haben eine Möglichkeit gefunden, uns zu verständigen. Leuten, die diese Sprache nicht beherrschen, ist das schwer zu erklären …«
    Rose streckte die Hand aus. Sie berührte seine Prothese mit ihrem keulenförmigen Finger. Sie hatte das Gefühl, als spränge ein innerer Funke über.
    »Ich glaube, ich spreche sie

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