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Wolken über Ebou

Wolken über Ebou

Titel: Wolken über Ebou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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verstohlene Blicke zu Egwene und den anderen warf. Die übrigen Behüter bildeten eine kleine Gruppe und gaben vor, ihn ebenfalls zu beobachten, während sie ihre Aes Sedai aufmerksam bewachten.
    Eine überaus warme Brise regte sich, ließ das tote Laub, das den Boden bedeckte, rascheln, und mit erschreckender Plötzlichkeit regte sich Lan, wechselte von einem Bein aufs andere, die Klinge in seinen Händen herumwirbelnd, immer schneller, bis er von einem Bein aufs andere zu springen schien, aber das alles so präzise wie die Bewegungen einer Uhr. Egwene erwartete, daß er einhalten oder seine Bewegungen zumindest verlangsamen würde, aber er tat nichts dergleichen. Er wurde eher noch schneller. Areinas Kinn sank allmählich herab, ihre Augen weiteten sich staunend, und das gleiche geschah mit Nicola. Sie beugten sich vor wie Kinder, die Kandiszucker auf dem Küchentisch beim Trocknen zusahen. Sogar die anderen Behüter teilten ihre Aufmerksamkeit jetzt zwischen ihren Aes Sedai und ihm auf, aber im Gegensatz zu den Frauen beobachteten sie einen Löwen, der jeden Moment angreifen konnte.
    »Ich sehe, daß Ihr ihn hart fordert«, sagte Egwene. Das war ein Teil des Vorgehens, einen Behüter zu retten. Nur wenige Schwestern waren bereit, den Versuch zu wagen, da sie die Versagensrate und den Preis kannten, den sie selbst dafür zahlen mußten. Ein weiterer Teil des Vorgehens bestand darin, ihn von Risiken abzuhalten und ihn erneut zu binden. Das war der erste Schritt. Myrelle hatte sich zweifellos um dieses kleine Detail gekümmert. Arme Nynaeve. Es konnte durchaus sein, daß sie Myrelle erwürgte, wenn sie es erfuhr. Andererseits würde sie vielleicht alles unterstützen, was Lan am Leben hielt. Vielleicht. Was Lan betraf, so verdiente er das Schlimmste, was er bekam, wenn er sich von einer anderen Frau binden ließ, obwohl er wußte, daß Nynaeve sich nach ihm verzehrte.
    Sie dachte, ihre Stimme klänge fest, aber etwas von ihren Empfindungen mußte sich hineingeschlichen haben, da Myrelle erneut zu erklären versuchte.
    »Mutter, es ist nicht so schlimm, eine Bindung weiterzugeben. Nun, tatsächlich bedeutet es nicht mehr, als daß eine Frau entscheidet, wer ihren Ehemann bekommen soll, wenn sie stirbt, damit er in die richtigen Hände kommt.«
    Egwene sah sie so starr an, daß Myrelle zurücktrat und beinahe über ihre Röcke stolperte. Es war jedoch nur der Schreck. Jedes Mal, wenn Egwene glaubte, nun von dem merkwürdigsten Brauch gehört zu haben, tauchte ein noch merkwürdigerer auf.
    »Wir sind nicht alle Ebou Dari, Myrelle«, sagte Siuan trocken, »und ein Behüter ist kein Ehemann. Für die meisten von uns nicht.« Myrelle hob trotzig den Kopf. Manche Schwestern heirateten ihren Behüter, eine Handvoll, nur wenige heirateten überhaupt. Niemand forschte dem allzu genau nach, aber Gerüchte besagten, sie hätte ihre Behüter alle drei geheiratet, was gewiß sogar in Ebou Dar Gebräuche und Gesetze verletzte. »Nicht so schlimm, sagt Ihr, Myrelle? Nicht so schlimm?« Siuans Gesicht und Stimme drückten gleichermaßen Verärgerung aus. Sie klang, als hätte sie einen üblen Geschmack im Mund.
    »Es gibt kein Gesetz dagegen«, protestierte Nisao an Egwene gewandt, nicht an Siuan. »Kein Gesetz dagegen, einen Bund weiterzugeben.« Siuan wurde ein derart düsterer Blick zugedacht, daß sie zurücktrat und schwieg. Sie dachte jedoch ganz anders.
    »Das ist doch nicht der Punkt«, bemerkte Egwene. »Selbst wenn es während - wieviel? vierhundert oder mehr Jahren? - bereits einmal geschah, selbst wenn sich die Bräuche tatsächlich geändert haben, wärt Ihr vielleicht mit einigen schiefen Blicken und einem geringfügigen Verweis davongekommen, wenn ihr seinen Bund nur untereinander weitergegeben hättet. Ihr hättet ihn vielleicht sogar gegen seinen Willen binden können. Tatsächlich habt Ihr es, verdammt noch mal, sogar getan!«
    Schließlich fügte sich das Puzzle für Egwene vollständig zusammen. Sie wußte, daß sie denselben Abscheu empfinden sollte wie Siuan. Aes Sedai setzen das Binden eines Mannes gegen seinen Willen einer Vergewaltigung gleich. Er hatte eine genauso große Chance, sich dagegen zu wehren, wie ein Bauernmädchen sie hätte, wenn ein Mann von der Statur Lans sie in einer Scheune in die Enge triebe -wenn drei Männer von der Statur Lans es täten. Schwestern waren jedoch nicht immer so rücksichtsvoll gewesen - tausend Jahre zuvor wäre es kaum erwähnt worden -, und selbst heutzutage konnte man

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