Wolkenfern (German Edition)
mehr wert als auf Piaskowa Góra, man könnte sie zu Geld machen, jeden Monat würde man nur das Geld von den Mietern einkassieren. Dominika solle sich auf jeden Fall bei dieser Frau Barron beliebt machen, schmeicheln soll sie ihr, sich sogar einschmeicheln, das kostet ja nichts. Das sanftmütige Kälbchen können auch zwei Mütter säugen!, ist der Rat von Mutter Chmura an ihr störrisches Kind. Jadzia versucht, immer auf dem Laufenden zu sein, was Dominikas Wanderfahrten betrifft, doch sie verliert den Überblick, wird ärgerlich, dass ihr alles durcheinandergeht und sie wieder von vorne anfangen und die Städte und Arbeitsstellen ihrer Tochter an den Finger aufzählen muss, erst in Deutschland, dann in New York. Manche Jobs sind so seltsam, dass Jadzia sie schwerlich als Arbeit betrachten kann, also zum Beispiel, sagt sie zu Krysia Śledź im Vertrauen, ist das denn Arbeit, wenn man Hunde ausführt? Würdest du, Krysia, denn jemandem Geld dafür geben, dass er deinen Pirat ausführt? Und kann Krysia sich vorstellen, dass man dort die Hundescheiße mit den eigenen Händen aufhebt und in den Abfall wirft? Oder ist das eine Arbeit, wenn man sich für irgendein Festival als Zigeunerin verkleidet? Das kann man ja keinem erzählen, weil es einem eher ein bisschen peinlich ist. Bücher vorlesen, das ist ja wenigstens eine saubere Beschäftigung, bei der nichts passieren kann, aber Arbeit? Das ist ein spinnert-spleeniger Firlefanz, aber keine Arbeit. Immer, wenn Jadzia Chmura schon hofft, dass sich ihr Kind irgendwo fest niedergelassen hat, ruft Dominika von einem anderen Ort an: Mama, das ist nicht mehr aktuell, ich bin jetzt woanders und hab eine ganz andre Arbeit, bald schick ich dir neue Fotos. Ein Hansdampfinallengassen ist das, dieses Kind, ein Luftikus! Als hätte sie Wind in diesem Rucksack, den sie immer bei sich hat.
Am zufriedensten war Jadzia, als Dominika in Gelnhausen war, einer kleinen Stadt in Hessen, wo Grażynkas Tochter Aniela Wolf eine Konditorei namens Calypso führte. Kleine Stadt, private Konditorei, Mutter Chmura aalte sich im Klang dieser Worte, sie trank von der süßen Ruhe, die sie verströmten, kostete das Aroma von Wohlstand. Calypso, wie das Eis, das es im Sozialismus gab und später nicht mehr, ach, früher, das war ein Eis, dachte Jadzia verträumt, das hatte so einen herrlichen Geschmack, heute ist das ja alles nur noch Chemie. Dort wird sie sich schon nichts Verrücktes ausdenken, jetzt gibt es mal keine spinnerten Spleenigkeiten, freute sie sich, als Dominika in der Konditorei Calypso war, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass in Städtchen wie Gelnhausen gefährliche Dinge passierten, erst recht nicht, wenn man in einer privaten Konditorei bei Bekannten arbeitet. Inzwischen waren zwar auch auf Piaskowa Góra die meisten Geschäfte privatisiert, doch Jadzia hatte das noch nicht so recht zur Kenntnis genommen, weil sie selbst, privat sozusagen, nie etwas Wertvolleres besessen hatte als ein paar Stücke russisches Gold, ein paar Kristallgegenstände und eine Sammlung von Keramik aus Włocławek. Manche Leute haben’s gut im Leben, private Konditorei, Gelnhausen, seufzte sie auf dem Balkon Krysia Śledź zu, allerdings nicht ohne Stolz, dass ihre Tochter an diesem Wunder privaten Besitztums partizipierte. Sie zeigte den Nachbarn Fotos von Dominika und benutzte mit Gusto den neuen Ausdruck, den sie gelernt hatte: preußische Wand. Diese weißen Wände mit schwarzen Balken, die hervorstehen, das ist eine preußische Wand, erklärte sie, nicht so wie bei uns, wo alles immer nur Beton und Beton ist, oder diese neuen Schnickschnäckchen, wo die Bürgerlichen in Szczawno Zdrój gebaut haben. Wenn Dominika in der Konditorei Calypso geblieben und in ein Haus mit preußischer Wand gezogen wäre, wäre Jadzia beruhigt gewesen, aber leider wurde daraus nichts.
Dominika und Sara hatten einige Zeit in Frankfurt am Main verbracht, bevor sie nach Gelnhausen gefahren waren. In Frankfurt, einer Stadt, deren Zentrum wie eine Kreuzung von Bank und Flughafen wirkt und die nach der aus Klimaanlagen ausgestoßenen Luft riecht, spiegelten sich ihre verzerrten Umrisse in den Glasfassaden der City wie im Wasser. Der Herbst rückte näher, und Dominika, die weiterhin nur schwarze, graue und weiße Kleidung trug, kaufte sich in einem Secondhandladen einen Zorro-Umhang und eine große weiße Mütze mit Pompon, die seit den sechziger Jahren in einem deutschen Kleiderschrank gelegen haben musste. Bist du
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