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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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gegenüber dieser Frau, die so anders war als alles, was Jadzia als fraulich akzeptierte, war jedoch leichter als die eventuelle Dankbarkeit gegenüber der amerikanischen Familie, denn Verwandtschaft empfand sie ihnen gegenüber weiterhin nicht. Jadzias Ablehnung vertiefte den Schmerz von Ignacy Goldbaums Kindern, sie konnten ja nicht wissen, dass die angebotene Freundschaft Jadzia angesichts einer solchen Entsetzlichkeit wie dem Tod ihres Vaters im Feuer verdächtig vorkam. Sie hätte eher Böses für Böses erwartet, wie es sich gehört. Auge um Auge. Das war immer Jadzias Ansicht gewesen. Kastrieren und den Leuten vorwerfen, sollen die ihre Gerechtigkeit üben – so tönte sie bei jeder Nachricht über Vergewaltigungen und Mord an Kindern. Steinigen, wie man das früher gemacht hat, da würde niemand sie zurückhalten, sie wäre die Erste, die einen Stein wirft! So ereiferte sie sich und stritt sich mit Dominika, die darauf bestand, dass es Gericht und Gesetze geben muss. Jadzia war auf einen Angriff seitens der Kinder von Ignacy Goldbaum eingestellt, darauf, dass sie sagen würden: Das ist eure Schuld, das ist Zofias Schuld, wir haben unseren Vater verloren, weil sie ihn nach Zalesie eingeladen hat, ihn auf seine alten Tage an diesen Arsch der Welt gelockt hat, warum wollte Dominika ihn treffen? Ich werd denen was husten, was soll das denn heißen, meine Mutter hätte ihn eingeladen, er hat’s gewollt, er ist gekommen, wer weiß, ob er eingeladen war; das ist ja gewissenlos, einfach so zu kommen und allen Scherereien zu bereiten. Ignacy Goldbaum war nach Polen zu Besuch gekommen und auf eine schreckliche Weise gestorben, doch Jadzia brachte alles, was mit Ignacys Tod verbunden war, in eine solche Wut, sie war gar nicht imstande, den wahren Grund für diese mit Nervensalz gewürzte Wut zu erkennen. Die arme Jadzia von Piaskowa Góra fühlte sich an diesem Tod schuldig, und diese Schuld ging über ihre Kräfte. Als die verbissene Wut wich, brach Jadzia in Tränen aus, denn in ihr keimte, ganz vage und klein, das Gefühl, dass alles auch ganz anders hätte kommen können, statt Schutt und Asche hätte es – wie sie es in kurzen Phantasieblitzen vor sich sah – einen reich gedeckten Tisch unter dem Zalesier Walnussbaum geben können, Menschen, eine neue Familie, den Duft von Hefekuchen und Kirschen, Sommerwind und Lachen.
    Jadzia hatte nicht damit gerechnet, dass eins von Ignacys Kindern so hartnäckig sein würde, und es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, dass das, was für sie so kompliziert war, Ruth Goldbaum ohne weiteres gelang, nämlich zu erfahren, in welchem Krankenhaus Dominika lag. Nur Sara wusste von Ruths Besuch, Jadzia hätte der Schlag getroffen, wenn sie es erfahren hätte. Ruth kam gleich zu Anfang, als Dominika in die deutsche Klinik gebracht worden war, und wartete geduldig, bis eine füllige ältere Frau das Krankenhaus verließ. Sie musterte sie genau und versuchte sich so viel wie möglich einzuprägen: den lila geblümten Rock, die farblich passende Sommerjacke, die über der großen Brust zugeknöpft war, die schiefgelaufenen Absätze der Pumps mit Schleifen, die sehr runden Waden und die noch zierlichen, schmalen Knöchel, den birnenförmigen Hintern, den in Ruths Familie keine Frau hatte, die vom Haarspray steifen gelblichen Haare, die aussahen wie ein alter Wattebausch.
    Keine andere Frau in meiner Familie, dachte Ruth noch einmal, und zum ersten Mal wurde ihr die Tatsache der Existenz Jadzia Chmuras so klar, dass sie ihre ältere Halbschwester in Brust und Bauch fühlte. Jadzias Profil mit dem scharf umrissenen Doppelkinn erschien Ruth wehrlos und seltsam schön, wie das Gesicht einer der Heiligen, die sie in italienischen Kirchen bewundert hatte, Heilige, die vor ihrer Heiligwerdung Schlimmes und Schmerzliches erlitten hatten – das Abschneiden der Brüste oder das Einschlagen eines Eisendorns in den Schädel, wobei die mit dem Eisendorn, die heilige Ruta, sogar selbst darum gebeten hatte. Der Parkplatz vor dem Krankenhaus war leer, das Licht der Straßenlaternen kalt wie in einer Fleischtheke, die lila gekleidete Gestalt wirkte einsam und schutzlos. Ruth wäre fast zu ihr gelaufen, als Jadzia ungeschickt ihre Tasche fallen ließ und in die Knie ging, um die verstreuten Gegenstände aufzusammeln, doch da kam ein Auto, und Jadzia stieg ein. Ruth blieb stehen, bis das Auto hinter dem Einfahrtstor verschwunden war.
    Als Sara Ruth im Warteraum des Krankenhauses sah, wusste sie, dass

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