Wolkenfern (German Edition)
Konditor nicht zweimal sagen, auch wenn er ein bisschen den Beleidigten gespielt hat, weil Sara ihm befohlen hat, um Himmels willen endlich mal den Mund zu halten, und Helmut »Ruhe!« geschrien hat. Zwei Geschichten sind es, mit denen Ivo Dominika – und alle anderen in Hör- und Reizweite seiner Worte – unterhält. Die eine betrifft die Zukunft, und der junge Konditor erzählt sie so, als glasiere er eine Torte, überall tropft es vor Süße. Paris, meine Liebe, sagt Ivo mit Mixerquirl oder Schneebesen gestikulierend, in seinen blauen Augen entzünden sich Funken, als spiegelten sich darin die Wunderkerzen, mit denen im Calypso die Süßspeisen für Kinder und Verliebte dekoriert werden. Also Paris, hier im Calypso wird er Erfahrungen sammeln und dann zurück nach Paris gehen, wo er sein eigenes Lokal eröffnen wird. Dort wird er sich nur mit Schokolade befassen, Trinkschokolade in Gläsern, Pappbecher verbieten sich von selbst, Mousses, Pralinen, Schokoladensaucen, Figuren aus schwarzer, brauner, weißer Schokolade, Bonbonnieren voller Schokoladenwunder, aber damit nicht genug – Schokoladensoufflés, ja Soufflés, das ist die wahre Kunst, und man braucht Talent, um sie genau in dem mit chirurgischer Präzision festgestellten Moment aus dem Ofen zu nehmen, das kriegt nicht jeder beliebige Handwerker hin, wie es sich gehört. Ivos Kunst weiß man an so angesehenen Orten wie Pierre Hermé oder Dalloyau zu schätzen, bald wird er Konkurrenz für sie sein, sie werden ihre Küchenjungen zum Auskundschaften schicken, damit sie nachts die Aromen erschnuppern, die aus seiner Chocolaterie namens Le croissant du galant dringen. Ich zeig dir Fotos von meinen Kindern!, ruft Ivo und zieht ein Album mit Ablichtungen seiner Konditorkunstwerke hervor. Er wird seine Karriere wohlüberlegt in Angriff nehmen. Vor der Ära der großen Triumphe in der Pariser Arena wird er Erfolge in Wettbewerben sammeln, einige hat er jetzt schon vorzuweisen. Wann ist das dein großer Traum geworden? Hast du Konditoren in der Familie? Warum diese Sache mit der Schokolade?, fragt Dominika, aber Ivo lässt sich nicht leicht beirren, wenn er einmal mit der Beschreibung seiner herrlichen Zukunft in Fahrt gekommen ist. Ich bin schon so geboren! So fertigt er sie rasch ab und füttert sie – voilà! – mit einem Stück Marzipan in Orangenschokolade, einer halb in Vanillemousse getauchten, mit Amaretto getränkten Kirsche, mit … ach, das ist sein Geheimnis! Ivo studiert das Gesicht des Mädchens wie ein unerfahrener Liebhaber, der nicht weiß, ob seine neue Liebkosung der Partnerin gefällt, und Dominika lernt den Geschmack von Kardamom, Chili und echter Vanille kennen, die sie noch nie gekostet hatte, denn auf Piaskowa Góra gab es nur Vanillezucker, Pfeffer und Salz. Mund auf, meine Liebe, Bitterschokolade mit Macadamianüssen! Ivo schiebt ihr die glänzende Kugel in den Mund. Erzähl, wie geht’s weiter, bittet Dominika, dann esse ich auch den Rest von der Nuss. In der Mittagspause gehen Sara und Helmut zum Kebab-Stand, und Ivo und Dominika sitzen zusammen auf der Treppe. Ivo redet, und Dominika isst Karamellbruch, schiefe Zuckerrosen, Buchstaben, die man von der Torte lösen musste, weil sie missraten waren, verzogene Silberperlchen aus Zucker, die wie Quecksilber glitzern, dünne knusprige Splitter erkalteter Kuvertüre. Helmut, der ältere Konditor, sieht zuweilen etwas verwirrt aus, umringt von drei jungen Ausländern, von denen zwei dürr sind wie Stecken und einen Kopf größer als er und die dritte auf eine Art und Weise rund, die in seiner Welt der bauchlastigen Frauen und Männer unbekannt ist. Helmut kann den Blick kaum von Saras vorgewölbtem Hintern nehmen, obwohl er sehr um Anstand bemüht, und wenn er mittags neben Sara über den Marktplatz zur Kebab-Bude geht, ist er stolz wie ein Pfau. Ivo hat keine Hemmungen zu Sara zu sagen: Frau aus dem Stamme der Khoi-Khoi, du könntest dir da eine Zimmerpflanze hinstellen oder den Hintern als Bücherregal benutzen, was für eine Platzersparnis! Sieh mal, meine Liebe – Ivo zeigt Dominika sein Album, in dem die Fotos in den durchsichtigen Taschen alle gleich aussehen: ein breit lächelnder Ivo und eine Süßspeise. Hohe Makronenpyramiden, Torten, die zu schön sind, um gegessen zu werden, Schalen voll mit Süßem. Neulich in Berlin, wo er mit etlichen älteren Kollegen konkurrierte, schaffte er es ins Halbfinale mit Teerosenblättern, in Zucker geröstet auf Tropfen von
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