Wolkenfern (German Edition)
die Halina in den rauen Jahren der Volksrepublik Kreationen für Betriebsbälle und funkensprühende Polyesterblusen fürs Büro genäht hatte, die Verkäuferin des ehemaligen Gemüsegeschäfts, an dessen Stelle heute das Geschäft für Billigkleidung namens Kauftraum war. Einige kamen wahrscheinlich nur wegen Dominika auf die Beerdigung. Sie wollten sich dieses seltsame Mädchen ansehen, das einst eine Affäre mit dem jungen Kaplan gehabt hatte – ein Abenteuer, von dem manche Pfarrangehörige von Piaskowa Góra und Szczawienko träumte. An den jungen, schönen Kaplan erinnerte sich jede gern, wie er errötete und wie er Gitarre spielen und dazu Schwarze Madonna singen konnte, dass man eine Gänsehaut bekam. Um den Unfall, bei dem zwei junge Mädchen ums Leben kamen und den Dominika überlebt hatte, rankten sich in Wałbrzych Legenden, und obwohl man den damaligen Kleinen See gereinigt und ringsherum einen Park angelegt hatte, hielten Kinder und Erwachsene bis heute im Wasser Ausschau nach den Überresten von Jagienka Pasiak, von der man in dem abgebrannten kleinen Fiat keine Spur gefunden hatte. Als hätte sie sich in Luft aufgelöst – nur eine geschmolzene Armbanduhr war aufgetaucht und ihr angekohlter Schülerausweis. Das Doppelbegräbnis der beiden Mädchen fand auf demselben Friedhof statt, auf dem jetzt Halina beerdigt wurde, doch alle wussten, dass der üppige Sarg mit den goldfarbenen Verzierungen leer war. Die einen behaupteten, Jagienka habe sich retten können und sei dann davongelaufen, doch sie würde zurückkommen, um sich an Dominika zu rächen, andere wiederum sagten, ach was, da gab’s nichts mehr zu fliehen, aus dieser Hölle kam keiner lebend raus, nein, die Englein hatten sie direkt in den Himmel geholt, weil sie unschuldig gestorben war, so ein süßes blondes Mädelchen. Wieder andere raunten sich zu, Jagienka sei tatsächlich nicht gestorben, man habe sie mit furchtbaren Verbrennungen geborgen, und anstatt der alten Jagienka gebe es jetzt nur noch ein Monster mit einer einzigen wuchernden Narbe im Gesicht. Dominika spürte die Augen der Trauergemeinde auf sich: neugierige, misstrauische, manchmal offen feindselige Blicke, weil sie nach all den Jahren fern von Wałbrzych immer noch ein Rätsel war. Dominika atmete tief die Wałbrzycher Luft ein, getränkt mit dem kohlenstaubigen Geruch nach Schnee, Blumen und etwas muffig Undefinierbarem. Frauen in Pelzmänteln wie Heuhaufen, mit kleinen flauschigen Hütchen und halbhohen Stiefelchen, deren Absätze im Schnee versanken, Männer mit ihren Mützen und Hüten in den Händen, zwei Frauen mit identisch gefärbten Haaren, helle und dunkle Strähnchen, wie ein Zebrastreifen. Dominika erkannte zwei frühere Schulkameradinnen in ihnen, Aldona und Danka. Modesta Ćwiek war da, die Schneiderin von Piaskowa Góra, die mit Halina um den Titel der besten Expertin für Alltags- und Festtagskleidung konkurriert hatte und jetzt, bei so viel billiger chinesischer Synthetikware und all den westlichen Kauftraumläden, arbeitslos war. Alle paar Augenblicke wischte sie sich mit dem Rand ihres Schals die Brillengläser doppelter Stärke. Was haben wir um die Wette genäht, das waren noch Zeiten!, flüsterte sie Ehemann Ćwiek zu. Mütterchen, das kehrt nie wieder, erwiderte Ćwiek ebenfalls im Flüsterton.
Dominika hörte das Flüstern, vielmehr sie fühlte es, das Tuscheln der Trauergemeinde: Im Koma war diese Chmura, ein ganzes Jahr hat sie geschlafen, ach was, woher denn, bloß sieben Monate, und diese reichen Juden aus Amerika haben ihr geholfen, wer weiß, was dahintersteckt. Und diese Grażynka, wissen Sie noch, die sich rechts und links mit jedem hingelegt hat? Von wegen Juden, die war’s, die hat der Chmura was besorgt, einen Palast hat die in der BeErDe, nicht bloß ein Haus, einen Palast, mit Balkonen und Säulen und einer Doppelgarage, aber jetzt zum Begräbnis kommen, dafür hat’s wohl nicht gereicht.
Diese Chmura ist doch eine alte Jungfer. Die war ja immer so eine Fisimatentige, so eine Spinnert-Spleenige, ich sag’s Ihnen, so ein Sonderling. Und sehen Sie mal, diese Homodingsbums vom Doktor Lipka, die steht wieder neben ihr, das ist ja irgendwie unheilbar; angeblich ist sie ja Ärztin wie ihr Vater, also wirklich, was kann das schon sein, eine Frau als Frauenarzt, da würd ich nicht hingehen. Ich würd nicht wollen, dass mir eine Frau da was reinsteckt, ehrlich. Kinderärztin oder Zahnärztin, das geht ja noch, aber dass so eine Frau einer
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