Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
Vom Netzwerk:
ein ähnliches Schicksal erleiden wie ihre Mutter, doch Sara war nicht davon abzubringen und gehörte zu den wenigen Mädchen, die Bed-Stuy verließen, um an einem College in Manhattan zu studieren. In ihrer freien Zeit besuchte sie Seminare an der City University New York und der New School und vergrub sich auf der Suche nach Spuren der Venus in Bibliotheken und Archiven. Ihre Oma La-Teesha befürchtete, Sara treibe sich in schlechter Gesellschaft herum, doch sie saß in Bibliotheken, klapperte alle möglichen Abteilungen für Afrikanistik ab und hoffte, dass jemand sie auf einen Weg weisen konnte, der mehr hergeben würde als die Bruchstücke der Pfade, die sie gefunden hatte. Sie stellte fest, dass es eine Reihe Leute gab, die sich für die Geschichte der Hottentotten-Venus interessierten, in der Regel waren es Frauen – Professorinnen, Kellnerinnen, Dichterinnen oder Krankenschwestern in New York, Paris, München und weiß der Teufel, wo sonst noch. Nach ihrem College-Abschluss ging Sara auf Reisen. Mal arbeitete sie in ihrem erlernten Beruf als Reha-Schwester, mal in ganz anderen Sparten, nie blieb sie lange an einem Ort. Sara litt darunter, dass sie ihre Oma La-Teesha zurückließ, die vor Sorge fast umkam, doch der Ruf der Hottentotten-Venus war stärker, und sie ist bis heute unterwegs.
    Aber was war mit Saras Eltern?, fragt Małgosia.
    Wer ihr Vater ist, weiß niemand, und ihre Mutter Shaunika wurde ermordet, bevor sie Sara gebären konnte. Saras Eintritt in die Welt und der Mord an ihrer Mutter müssen sich fast gleichzeitig ereignet haben, doch niemand konnte sagen, was zuerst passierte. Sara hat erzählt, erzählt Dominika, dass es in der Nacht ihrer Geburt Unruhen in Brooklyn gab, ihre Mutter Shaunika ging bei Einbruch der Dunkelheit kurz hinaus, mehr hat ihre Oma La-Teesha ihr nicht erzählen wollen, denn sie ist nicht so schwatzhaft wie Destinee. Sara hat erzählt, erzählt Dominika, dass man ihre Mutter am nächsten Morgen im Park fand, ihr Bauch war aufgeschnitten, leer wie eine ausgegessene Melone, im Gebüsch eine Schere, blutige Lappen. Eine Wunde am Kopf und der aufgeschnittene Bauch, keine anderen Verletzungen, wenn man die abgebrochenen Fingernägel nicht rechnet, denn Shaunika muss sich gewehrt haben. Sara hat erzählt, erzählt Dominika, dass die Polizei nicht sehr eifrig nach den Tätern gesucht habe, wer interessierte sich damals schon für eine junge Schwarze, die ermordet worden war?
    Das Kind fand man auf der Pennsylvania Station. Jemand bemerkte einen Weidenkorb und hörte das Weinen eines Säuglings, es war ein Mann, der verschwand, ohne seinen Namen anzugeben, wahrscheinlich wollte er keine Scherereien, und der junge Wachtmeister, der Dienst hatte, konnte sich an sein Aussehen nicht mehr erinnern, nur daran, dass er einen Hut trug. Angeblich – doch darüber gibt es keine Gewissheit – hatte jemand gesehen, wie zwei schwarze Mädchen den Korb abstellten, aber vielleicht handelte es sich auch um zwei einander ähnliche Körbe. Und woher weiß man, dass sie das war, dass Sara Sara ist, das Kind aus Shaunikas Bauch?, fragt Małgosia. Sara hat erzählt, erzählt Dominika, das könne man nicht hundertprozentig wissen. Im Korb fanden sie einen grünen Schal, damit war der Nabel des Neugeborenen notdürftig umwickelt. Der Arzt erklärte, das Kind müsse in den letzten zwölf Stunden zur Welt gekommen sein. Als man La-Teesha auf die Polizeistation rief, schwor sie, dieser grüne Lappen sei ihr bekannt, natürlich, er hatte ihrer Tochter Shaunika gehört, sie habe ihn selbst als Geschenk für ihre Tochter im Sonderangebot bei American Values gekauft, sie konnten nach Bed-Stuy fahren und nachfragen, sie sei ganz sicher, könne es auf die Bibel schwören, dass Shaunika in jener Nacht diesen Schal getragen hatte. Das sei Shaunikas Schal, und das Kind im Korb sei Shaunikas Kind, ihre Enkelin. Nicht ausgeschlossen, dass man ihr das Kind trotz einiger Zweifel an der Glaubwürdigkeit der ganzen Sache anvertraut hat, vielleicht dachte sich ein vernünftiger Mensch, es sei besser, ein paar Vorschriften außer Acht zu lassen und den schwarzen Säugling einer Frau zu geben, die ihn wollte, denn eine zweite solche Gelegenheit würde das arme Wurm so bald nicht kriegen. Verdächtig war, dass zwei Mädchen aus der Gang, die Shaunika anfeindete, aus der Gegend verschwunden waren, auch Verhöre mit ihren Familienangehörigen brachten keinen Aufschluss, fort wie ein Stein im Wasser, die Akte wurde

Weitere Kostenlose Bücher