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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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geschlossen.
    Nach mehreren Tagen im Krankenhaus war das Kind zu Kräften gekommen und außer Lebensgefahr, La-Teesha brachte das kleine Mädchen nach Hause, und die Urgroßmutter Destinee gab ihr den Vornamen. Die kleine Sara schrie wie am Spieß, in den ersten Wochen ließ sie sich nur von der Uroma beruhigen. Da von Anfang an Worte bei der schreienden Kleinen eine bessere Wirkung taten als ein Fläschchen Milch, begann Destinee ihr sicher schon damals von Venus zu erzählen und spickte sie mit diesen Geschichten wie eine Zwiebel mit Nelken. Als Sara heranwuchs, nahm sie sich vor, alle die Orte zu besuchen, an denen Venus gewesen war oder hätte gewesen sein können, und von unbewiesenen Vermutungen und Ahnungen geleitet, machte sie sich auf die Reise. Manchmal hielt sie sich irgendwo länger auf, um Geld zu verdienen, damit sie weiterreisen konnte. Als ich sie im Krankenhaus bei München kennenlernte, sagt Dominika, gab es gerade einen Streit, ob die Überreste der Venus, die vergessen im Magazin des Naturkundemuseums in Paris gelegen hatten, in ihrer Heimat begraben werden sollten. Sara wollte, dass das Grab ihrer Urahnin, der als Hottentotten-Venus bekannten Frau aus dem Stamm der Khoi-Khoi, in der Nähe des Flusses Gatmous liegen sollte, unter der Sonne Afrikas. Sie träumt von dem Tag, an dem das wahr werden wird, und dann wird die amerikanische Nachfahrin dorthin fahren, um ihrer Urahnin die Ehre zu erweisen.
    Wollte Sara denn nie herausfinden, wer ihre Mutter ermordet hatte? Nein, Sara hat gesagt, sagt Dominika, dass sie dank dieser Geschichte lernen will zu lieben und nicht, sich zu rächen.

IX
    Halina Chmura wusste, dass es zu Ende ging. Sie hatte nie zu den Menschen gehört, die über den Sinn des Lebens grübelten, da sie der festen Überzeugung war, dass jedes Menschenleben letzten Endes in die gleiche Richtung geht und eines tieferen Sinns entbehrt, deshalb seufzte sie nur – so ist es nun, es geht zu Ende, ich fühl mich, als hätte mich einer gefressen und ausgekotzt, und stieß eine Rauchwolke aus. Wäre ihr ausgezehrter Köper nicht schon ausreichender Beweis für den nahenden Tod gewesen, hätte die Dürftigkeit der Rauchwölkchen, die sie ausstieß, eventuelle Zweifel an ihrem Zustand sofort beseitigt. Als gesunde Frau hatte sie so tief an der Zigarette ziehen und den Qualm mit solcher Kraft ausblasen können, dass der ihrem Mund entströmende Rauchfluss auf seinem Weg durch die Wohnung benommene Fliegen, Stofffetzen und kleinere Gegenstände, die man später in den Ecken suchen musste, mit sich riss. Manchmal prallte ihr Rauchstoß auf Jadzia, die dann wie ertrinkend mit den Armen ruderte und schrie: Pfui, Mutter, alles stinkst du hier voll mit diesen Zigaretten! oder: Musst du mich so räuchern?
    Jetzt floss der Zigarettenrauch wie feuchtes Ektoplasma von Halinas blauen Lippen, alle paar Minuten wurde die alte Frau von Hustenanfällen geschüttelt und schnappte mit hervorquellenden Augen nach Luft, was Jadzia zu Tode erschreckte. Doch jedes Mal fing sich ihre Schwiegermutter wieder, und ihre tränenden Augen suchten Dominika.
    So überstand sie die Feiertage, doch gleich nach Neujahr legte sie sich aufs Sofa im Esszimmer und röchelte ihrer Schwiegertochter zu, bitte jetzt nicht an die Decke gehen, aber ich kann jetzt nicht mehr aufstehen. Wie schade, dass sie den Sarg nicht gekauft hatten, als sie noch auf den Beinen war, denn Jadzia werden sie ordentlich übers Ohr hauen, sowohl mit dem Sarg als auch mit der Beerdigung. Lass dich nicht verscheißern, Jadzia, riet sie mahnend ihrer Schwiegertochter in einem Flüsterton, der an das Rascheln trockener Blätter erinnerte. Sie konnte kaum noch sprechen, und es tat ihr so leid, dass sie ihrer Enkelin nicht mehr von Wówka erzählen konnte, dem Dompteur aus dem Wanderzirkus, von dem wahrsagerischen Flug auf der Rosshaut, bei dem sie den Bären erblickt hatte, und dass sie ihrer Enkelin nicht mehr sagen konnte, dass sie niemanden auf der Welt so lieb gehabt hatte wie sie. Dominika nahm die Hand der Großmutter in ihre, ein verdorrter Zweig, in dem kein Saft mehr kreiste, und sagte, meine Oma Kolomotive, keiner hat so wunderbare Brote mit Sahne und Zucker gemacht wie du, und weißt du noch, was für ein tolles Kleid du mir aus gefärbtem Windelstoff genäht hast? Weißt du noch, was du mir von der Gräfin Großherr vorgeschwindelt hast? Mehrmals am Tag kam Małgosia und setzte der alten Frau Spritzen, schaute ihr in die Augen und in den Hals, und

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