Wolkenfern (German Edition)
Halina, die an so etwas nicht gewöhnt war, wehrte ab, die Frau Doktor brauche sich doch nicht extra zu ihr zu bemühen, und versuchte Małgosia Geld in die Hand zu drücken, weil sie fürchtete, Dominika könnte sich finanziell übernehmen. Als die Schmerzen eines Abends unerträglich wurden und Halina lautlos weinte, als presse eine schreckliche Gewalt ihr die Tränen aus den Augen, verschwand Dominika nach einem kurzen Anruf bei Małgosia und kam nach wenigen Minuten mit einem kleinen Päckchen zurück. Oma, ich mach dir jetzt eine ganz tolle Zigarette aus ausländischem Tabak, sagte sie, und bald hielt die alte Frau einen dicken Joint in der Hand. Halina zog erst einmal misstrauisch daran, denn Dominikas selbstgedrehte Zigarette erinnerte sie an das, was man während des Kriegsrechts nach Gewicht im Sam auf Piaskowa Góra kaufen konnte, Bruchstücke von Hülsen, gestopft mit Abfall und Mäusekot, doch dieser Geschmack jetzt war anders, das spürte sie sofort, holzartig, bittersüß, wohltuend. Gierig sog sie die aromatische Wolke in die Lungen, bis ihr Loch im Hals zu pfeifen begann. Sie saugte an dem Stengel und ließ nicht los, bis Dominika ihr den Stummel aus der Hand nahm, damit sie sich nicht verbrannte und das Bettzeug nicht in Flammen aufging. Der Schmerz ließ nach, Halina schaute ihre Enkelin aus geweiteten Pupillen an und lächelte. Der Bär, sagt sie, so tanz, Brüderchen. Auf heißen Kohlen haben sie ihn tanzen gelehrt, den Bären. Dann hat er immer getanzt, wenn er Musik gehört hat, rasselte sie, und wie er getanzt hat! Auf ihren packpapierfarbenen Wangen erschien ein Hauch Röte. Ein Bär? Dominika setzte sich auf die Bettkante und nahm Oma Halinas Hand. Was für ein Bär, Oma? Doch Halina gab keine Antwort, denn sie hatte keine Worte mehr, und als Dominika ihr den nächsten Joint aus bestem holländischem Marihuana drehte, lächelte sie nur noch breiter. Halinas Hände waren schon zu schwach, deshalb führte Dominika ihr den Joint an die Lippen, die sich darum schlossen und mit letzter Kraft eine ansehnliche Portion Rauch heraussaugten. Halina Chmura sah ihre Enkelin, und es gab nichts, was sie lieber sah, und hinter dem Kopf ihrer Enkelin, auf der spiegelnden Hochglanzoberfläche der Einbauwand, sah sie andere Dinge, schöne und schreckliche, einen tanzenden Bären, ihren Sohn Stefan, dem sie Vater und Geburtsdatum gefälscht hatte, die großen Ohren ihres Mannes Władek mit den Haarbüscheln darin, die aussahen wie Bärenfell, die Eisfläche, die schwärzer war als die Nacht, und die drei Mädchen aus dem Dorf ihrer Kindheit, mit ihren frostgeröteten Gesichtern und Tropfen schmelzenden Schnees an den Wimpern. Aldona, die Popentochter, die Grażynka Rozpuch so seltsam glich, begann zu deklamieren, und – und – Halina schließt die Augen, die Pferdehaut trägt sie empor in die Lüfte und davon, ein Wind voll Duft nach Fernem und Unbekanntem umweht ihr Gesicht. Oma Kolomotive, weint Dominika, was für einen Bären meinst du?
Halina wurde neben ihrem Mann Władek bestattet, an dem Platz, der seit langem auf sie wartete, nur das Datum hinter dem »gest.« musste man noch draufschreiben. Hier lag sie zwei Schritte von Stefans Grab und dem wie eine Bonbonniere geschmückten Grab von Dominikas totgeborener Zwillingsschwester Paulina entfernt. Dominika betrachtete die gepflegten Kunststeinplatten, die polierten Christusfigürchen an den Kreuzen, die künstlichen Blumen. Im Winter kauf ich künstliche Blumen auf dem Manhattan oder im Real, erklärte Jadzia, das ist nicht mehr so wie früher, Kind, es gibt heute so herrliche Kunstblumen, ich sag dir, die sehen aus wie echt, Rosen, Gerbera, Veilchen, Tulpen, alles Mögliche, sogar Maiglöckchen. Man merkt es nur, wenn man sie anfasst, dann werden’s die Toten auch nicht merken. Bei den echten muss man immer dran denken, dass man die Stengel kurz abschneidet, sonst werden sie zum Weiterverkaufen geklaut, aber die künstlichen nehmen sie nicht, weil sich das nicht lohnt. Im Sommer kauf ich mir ein süßes Brötchen, das ess ich hier und trinke dazu eine Limonade und sitze hier bei den Gräbern, Kind, während du in der Weltgeschichte herumreist.
Dominika war erstaunt, dass so viele Leute zu Halinas Beerdigung kamen, sie kannte nur wenige von ihnen. Die Bewohner des Mietshauses in Szczawienko, manche im Leben ein bisschen daneben, waren fast vollständig versammelt, ihre erwachsenen Kinder mit ihren Kindern waren gekommen, ehemalige Kundinnen, für
Weitere Kostenlose Bücher