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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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erinnerte. Wie lang das her ist!, dachte sie und lächelte Grażynka zu. Als die ersten Erdbrocken auf den Sarg fielen, erschauerte Jadzia und flüsterte ihrer Tochter zu: Letztens denk ich doch öfter, ich sollte mich einäschern lassen. Wenn man sich das überlegt, ist das ja doch hygienischer, obwohl man ja immer gleich an so schlimme Sachen dabei denkt.
    Beim Leichenschmaus war Jadzia endlich in ihrem Element, denn sobald sie etwas zu kochen, anzurichten, zu servieren hatte, fand sie ihr Gleichgewicht wieder. Die Notwendigkeit einer bestimmten Reihenfolge hielt sie im Gleis, und eine Ordnung wie Fleisch, Klopfer, Ei, Mehl, Semmelbrösel, Pfanne, Teller erlaubte ihr ein gefahrloses Zockeln auf den Schienen des Lebens. Sie reichte Teller an, räumte Teller ab, spülte und ließ sich in dem ganzen Betrieb nichts davon abnehmen. Nein, nein, ich komm schon zurecht, versicherte sie und scheuchte die Hilfsbereiten davon, das ist wirklich nicht nötig. Fertig! Befriedigt blickte sie auf die letzten Reste vom Gemüsesalat mit Mayonnaise, von den Platten mit Wurst, den bebenden Hühnersülzchen, den Körbchen aus halben Äpfeln, gefüllt mit Käse, Gürkchen und Dosenschinken, über die sich ihre Tochter mit dem Fotoapparat gebeugt hatte wie über eine exotische Blume. Das war gelungen, stellte Jadzia seufzend fest, soll keiner sagen, ich hätte beim Leichenschmaus für meine Schwiegermutter an etwas gespart, keiner kann mir nachsagen, diese Chmura, die ist geizig, oder dass man hungrig geblieben ist oder dass es nicht gut geschmeckt hat.
    Jadzia verscheuchte den Gedanken an Dominikas unaufhaltsam näher rückende Abreise, und als sie mit dem Aufräumen nach dem Leichenschmaus fertig war, fand sie hundert neue Aufgaben, sie sprach davon in einem Ton, als müsste die Aussicht auf das Nähen neuer Küchenvorhänge oder die Zubereitung von Orangenlikör, für den sie im »Häuslichen Ratgeber« ein Rezept gefunden hatte, auf wundersame Weise ihre Tochter zum Bleiben in Wałbrzych überreden können. Doch sie wusste, dass das nicht geschehen würde, sie spürte, wie sich Dominikas Ausstrahlung veränderte, als überziehe sich ihre Tochter mit einer undurchdringlichen Schicht Eis. Es zog ihr Kind wieder hinaus in die Welt. Was soll ich nur mit mir allein anfangen?, sagte Jadzia, als rede sie von einer fremden Last, die sie in der Hoffnung auf irgendeinen Nutzen so weit getragen hatte, die sie aber jetzt nur noch als störend empfand. Sie sah ihre Tochter aus matten stachelbeerfarbenen Augen an, und ihre grün getuschten Wimpern zitterten. Da zieht es sie wieder in die Welt hinaus, den Hansdampfinallengassen, den Flattervogel! Sie sah Dominika mit Małgosia flüstern, sie hörte Gespräche, die ihre Tochter auf Englisch führte, und verstand nur die Namen Sara und Ivo, etwas tat sich, das spürte Jadzia Chmura. Jetzt würde sie ihre Tochter aufs Neue verlieren und allein in der mit Zierrat überladenen Wohnung zurückbleiben, die ihr plötzlich so groß und leer erschien. Ganze zwei Zimmer mit Küche und Bad und sie allein, aus dem Gleis der Mutterschaft geworfen und aufs Abstellgleis bugsiert. Wie besessen blätterte sie durch ihre Rezepte für Eingemachtes, das sie jetzt schon im Frühling in Angriff nehmen wird, Sauerampfer zum Beispiel, auch wenn es in den Läden alles gibt, der eigene Sauerampfer ist doch was anderes, der eigene eben, so wird sie wenigstens sicher sein, dass er ordentlich gewaschen und geputzt ist. Und wenn Dominika wiederkommt, gibt es Sauerampfersuppe mit Ei. Vielleicht bringt sie jemanden mit, dann gibt es für den Gast gleich eine traditionelle polnische Suppe. Und als zweiten Gang Salat aus roten Rüben und Paprika, eine Neuheit, die sie erst kürzlich gelernt hat, im Eifer des Neuen hat sie gleich fünfzehn Gläser eingemacht, und ihre Hände hat sie eine Woche nicht sauber gekriegt, wie rohes Fleisch sahen sie aus. Jadzia war das Gleichgewicht abhandengekommen, weil es in ihrem Leben immer weniger Lebende gab und immer mehr Tote, zu denen sich nun auch Schwiegermutter Halina Chmura gesellt hatte. Sie hatte Gräber in Zalesie und Gräber in Wałbrzych, andere hatten wenigstens Enkelkinder als Ausgleich für die sterbenden Omas und Opas, sie hatte bloß diese spinnert-spleenige Tochter und Postkarten von Verwandten in Amerika, die sie nicht als ihre Verwandten betrachtete.
    Der Fernseher ist mein einziger treuer Freund, sagte Jadzia, und dann grinste Dominika auf diese Art, die Männern so gut gefiel,

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