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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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dann hätte sie ihr Kind von Kopf bis Fuß darin eingewickelt. An diesem Abend sah Dominika, wie ihre Mutter mit neu entflammter Leidenschaft zwischen den Sendern umschaltete, und sie wusste, dass das vorerst einer der letzten gemeinsamen Abende auf Piaskowa Góra sein würde, weil die Sehnsucht nach Reise und Bewegung wie eine große Woge in ihr aufbrandete. Sie konnte weder hierbleiben noch Jadzia von hier fortbewegen, deshalb würde sie sich weiter vom Wind in die Richtung wehen lassen, die das Schicksal bestimmte. Małgosia würde am folgenden Tag nach London zurückkehren, sie hatte Dominika vorgeschlagen mitzukommen, Komm doch zu uns, hatte sie gesagt, du kannst bei mir wohnen, Jill wird nichts dagegen haben, und dann kannst du überlegen, wie es weitergeht.
    In der Nacht stand Dominika am Fenster des Zimmers, in dem sie ihre Kindheit verbracht hatte, und schaute auf die Hügel, die Wałbrzych wie ein Ring umschlossen. Dahinter lag die Welt, warteten Sara, Ivo, Małgosia, alle Morgen dieser Welt, all die Orte, die sie noch nicht gesehen hatte. Irgendwo dort hinter diesen Hügeln war vielleicht auch Wolkenfern. Als plötzlich das Telefon schrillte, schrak sie zusammen und stürzte in den Flur. Leo Barron aus New York war am Apparat, Eulalia Barrons früherer Mann. Er regelte das Testament der Verstorbenen, die Dominika ein Andenken und einen Brief hinterlassen hatte. Ein Andenken? Er wusste selbst nicht, was, es war verpackt. Beide Dinge waren mit Kurier nach Polen unterwegs und müssten in den nächsten Tagen eintreffen. Dominika wunderte sich über das unverhoffte Erbstück, sie wusste, dass Frau Eulalia Barron außer Büchern nichts besessen hatte, und diese hatte sie einer Bücherei vermacht. Heilige Muttergottes, wenn sie das bloß auf der Post nicht klauen!, rief Jadzia besorgt, und bis zur Ankunft des Päckchens zwei Tage später konnte sie an nichts anderes denken. Was würde es sein? Und würde man es zu Barem machen können? Vielleicht hatte die alte Frau trotzdem etwas Wertvolles im Schrank, so wie ihre Halina, die unter einem für den Fall eines neuen Kriegsrechtszustands gehamsterten Sack mit Zucker deutsche Mark versteckt hatte. Und da in New York, da ließ sich bestimmt mehr hamstern als in Wałbrzych, außerdem war die alte Frau kinderlos, sie hatte keinen, der ihr das Geld aus der Tasche zog. Was konnte es sein? Ein Schmuckstück? Ein Nerz? Einen Teil könnte Dominika für ihren Unterhalt brauchen, vorzugsweise hier auf Piaskowa Góra, und den Rest aufs Sparbuch geben, überlegte Jadzia. Sie stellte sich etwas Schönes, Glitzerndes vor, wenn schon kein Schmuckstück oder keinen Pelz, dann vielleicht ein außergewöhnlich ansehnliches Stück aus Kristall oder Familiensilber. Sie hatte nie so etwas wie Familiensilber gesehen, geschweige denn besessen, doch sie liebte den Klang dieses Wortes, das sie aus Filmen und Groschenromanen kannte und das die Verheißung von etwas barg, das gleichzeitig romantisch war und sich zu Geld machen ließ. Familiensilber, Oberärzte, Nerzmäntel, Kutschen, Brautschleier, das waren die Requisiten, die Jadzias Phantasie möblierten und sich für jede Gelegenheit eigneten. Eine Hand aufs Herz gepresst, mit roten Flecken im Gesicht schaute sie zu, wie Dominika den Gegenstand auspackte. Vorsicht!, rief sie warnend, Vorsicht! Du lässt es noch fallen, und alles liegt in Scherben. In dem Paket befand sich ein alter Nachttopf, auf dem einen Henkel schimmerte noch ein Rest Blattgold. Ein Nachttopf? Jadzia blickte ihre Tochter ungläubig an und beugte sich über den Tisch, das sieht ja ganz nach einem Nachttopf aus, was ist das denn für eine Spinnerei? Sie warf einen Blick ins Innere und hob ihn mit einem Ausdruck des Ekels gegen das Licht, schnüffelte daran. Ein Nachttopf, und dazu noch ein gebrauchter. Vielleicht war er aus Silber? Dominika nahm Jadzia das Gefäß aus den Händen, ihr fiel ein, dass es im Zimmer von Eulalia Barron auf der Fensterbank gestanden hatte, ein Farn wuchs darin, dessen junge Blättchen spiralförmig gewunden waren wie Schneckenhäuser und sich manchmal in Dominikas Haaren verhedderten. Außer dem Gefäß war noch ein dicker Brief in dem Paket.
    Liebe Dominika, schrieb Eulalia Barron, ihre Handschrift erinnerte Dominika an die dünne, zittrige Stimme der alten Dame. Liebe Dominika, der Gegenstand, den Du hiermit erhältst, ist genau das, wonach er aussieht. Es ist ein alter Nachttopf, der Nachttopf von Napoleon Bonaparte. Weißt Du, ich habe

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