Wolkenfern (German Edition)
noch nicht reichen. Dreimal im Jahr fahren die nach Ägypten, nach Tunesien. Und so einen russischen Millionär hat Grażynka kennengelernt, der Iwan hat sich unsterblich in sie verliebt, Frau und Kinder verlassen, ihr in Petersburg einen Palast hingestellt, eine nagelneue Yacht für den Sommer gekauft. Und jetzt iwaniert-flaniert Grażynka durch Petersburg, hoch zu Russ sozusagen, ein Glas Champagner in der Hand, im Pelz, und redet russisch, als wär ihr der Schnabel so gewachsen, sdrastwujtje tawarischtsch und na sdarowje, paschalsta. Diesen Nachrichten widersprach Lepki mit stolzgeschwellter Brust. Nachdem seine Zeche geschlossen worden war und er einen Teil seiner Abfindung für einen aus Deutschland importierten Gebrauchtwagen ausgegeben und den Rest aus Sehnsucht nach seiner zuvor so verhassten unterirdischen Arbeit versoffen hatte, war die Lepka sauer geworden und hatte ihm Feuer unterm Hintern gemacht. Du Nichtsnutz, du Flasche, du Einfaltspinsel, willst du hier ewig auf dem Arsch sitzen, in den Sessel furzen und stöhnen? Wirst vielleicht noch ne Depression kriegen wie der Śledź? Tu was, Mann! Mach ein Pfandhaus auf wie Kowalik oder eine Tierhandlung wie der Sohn vom Waciak, nur sitz hier nicht so rum, sonst trifft’s mich gleich! Beweg dich und tu was, sonst endest du noch wie die, die vorm Real betteln, du Lahmarsch. Die Lepka, die nicht auf die Eigeninitiative ihres Ehemannes warten wollte, hatte selbst eine Firma angemeldet, Visitenkarten drucken lassen, Lepki Waldemar Direktvertrieb, und ihren Mann mit seinem deutschen Auto auf Reisen geschickt. Nun fuhr der ehemalige Bergmann durch Polen, den Kofferraum voller Damenstrumpfhosen aus Wałbrzycher Privatfabrikation, die er bei Dorf- und Kleinstadtläden anbot. Und in Kamieńsk, schwor Lepki jetzt, einem Kaff, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, habe er Grażynka gesehen, sie stand vor einer klettenumrankten Hütte, und als sie ihn sah, lächelte sie, warf ihm eine Kusshand zu und stieg in einen Geländewagen; als das Auto losfuhr, flatterte ihr Seidenschal aus dem Fenster, was war das für eine Kusshand, was für ein Schal, und erst der Geländewagen, o du mein Gott. Am Steuer saß so ein Gigolo-Schniegolo mit schwarzer Sonnenbrille, der sah ein bisschen aus wie Präsident Kwaśniewski, bloß nicht ganz so aufgedunsen im Gesicht und jünger. Eine Kusshand, lachte die Lepka, wer würde dir denn eine Kusshand zuwerfen, du Trottel, höchstens deine eigene Mama, wenn du sie nicht so früh ins Grab gebracht hättest. Ich werd dir die Kusshändchen schon mit meinem Pantoffel aus dem Kopf jagen. Ach, wenn ich doch jünger wäre, dann würd ich dich in dein mageres Hinterteil treten, dass dir Hören und Sehen vergeht!
Wenn man sie fragte, sagte Jadzia zu Dominika am Telefon, wenn man sie fragte, so sei Grażynka bestimmt nach Amerika gefahren, um sich Silikonimplantate und ein Lifting machen zu lassen. Jadzia hatte gerade die Lektüre der neuesten Nummer »Dein Stil« hinter sich, sie hatte sich einen Ruck gegeben und sie gekauft, obwohl sie teuer war, hatte sich Brüste angesehen, die der Schwerkraft trotzten, und glatte Gesichter von Stars mit Lippen prall wie Reifen; die Stars waren nicht so viel jünger als sie, und im Fall von Janosiks Frau wahrscheinlich sogar älter, und Jadzia fragte sich, ob solche Implantate und Liftings wohl hygienisch waren, ob man sich damit nicht werweißwas einfangen konnte. Dominika fand es nicht so verwunderlich, dass Grażynka verschwunden war, und sie teilte Jadzias Aufregung nicht, sie hatte von Anfang an in Grażynka eine Verwandtschaft erahnt – genau wie sie musste auch Grażynka in Bewegung bleiben, um zu leben. Wir sehen sie sicher noch einmal wieder, sagte sie in solch bestimmtem Ton, dass Jadzia misstrauisch wurde.
Dominika wohnte seit drei Wochen in London, in einem Haus mit Garten, vor dem Fenster wuchs ein Feigenbaum mit Blättern wie Froschfinger, und es roch nach den süßen Wecken, die ihre griechische Hauswirtin buk. Auf Zimmersuche hatte sie immer weitere Kreise um das Stadtzentrum gezogen, weg von den besseren Vierteln, weg von Hampstead Heath, wo Małgosia und Jill wohnten. Sie war durch finstere Gegenden spaziert, die im Rhythmus des Ungewissen lebten, wo die Menschen auf den Treppen vor ihren Häusern saßen und sich über die Heimatländer unterhielten, die sie verlassen hatten, wie es auch die anderen zweihundert Millionen Menschen zu tun pflegen, die außerhalb ihres Geburtslandes leben.
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