Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
Vom Netzwerk:
für die Mathematik gehabt, doch das war verloren. Sie verschenkte ihre Fotografien und ließ sie überall liegen, und Małgosia musste sie immer wieder im letzten Moment in Sicherheit bringen, wenn Dominika gerade ein Glas darauf abstellen oder sie als Fliegenklatsche benutzen wollte, bist du verrückt geworden, willst du das Bild von dem telefonierenden Chassiden auf der Leiter kaputtmachen! Darf ich? Nimm nur, es gehört dir, Dominika zuckte die Achseln, du kannst es dir übers Bett hängen und mit ihm über Gott und die Welt reden. Und das hier?, fragte Małgosia und hielt das Bild von zwei Mädchen in Partykleidung hoch, die auf einem von quecksilbrigem Frühmorgenlicht übergossenen Londoner Bahnsteig Hamburger in sich hineinstopften. Darf ich? Nimm nur, es gehört dir.
    Dominika fand eine einfache Arbeit in einer Bar, denn in London gab es leider keine alte Dame, die eine polnischsprachige Vorleserin suchte. Mit derselben Offenheit für alles, was noch kommen mochte, mit der sie vorher Eulalia Barron die Odyssee vorgelesen hatte, begann sie jetzt Drinks zu servieren. Die snobistische Kundschaft dieser Bar in Soho deutete Dominikas Gleichgültigkeit gegenüber Äußerlichkeiten als einstudierte Nonchalance und ihre natürliche Magerkeit als Ergebnis einer überaus wirksamen Diät, und gleich am ersten Abend fragten zwei junge Frauen sie nach ihrem Friseur. Sie sagte ihnen wahrheitsgemäß, sie schneide sich die Haare selbst, mit einem elektrischen Haarschneider, was als gelungener Scherz aufgefasst wurde, und schon bald darauf umgab sie eine gewisse geheimnisvolle Aura, und es hieß, das neue Barmädchen sei gar nicht die Frau, als die sie sich ausgebe. Eine rumänische Prinzessin, die Tochter eines jüdischen Millionärs, der wegen eines Börsenschwindels hinter Gittern saß, die enterbte Erbin eines griechischen Vermögens, die das Missfallen ihres Vaters, eines Schiffseigners, erregt habe, indem sie mit einem Matrosen durchgebrannt sei, alle möglichen Spekulationen kursierten über Dominika, die unbeeindruckt ihre Drinks mixte und in den seltenen Momenten der Untätigkeit mit ihrem Glitzersteinring spielte, dem einzigen Schmuckstück, das sie jemals getragen hatte. Sie bekam üppige Trinkgelder, da sie nicht nur schnell Namen lernte, sondern auch den Geschichten der betrunkenen Gäste lauschen konnte, als wäre jede einzigartig. Die Erzähler dieser alkohol- und kokaingeschwängerten Stories, von dieser, die jenen verlassen und hinter dessen Rücken verbreitet habe, dass die mit dem, wo doch in Wirklichkeit der mit der, sahen in ihren Augen die vergrößerte und wahrere Version ihrer eigenen Geschichten. Meistens hatten sie dann bald das Gefühl, Dominika erinnere sie an jemanden, und freuten sich über diese praktische Erklärung, worauf sie die nächste Runde Moosbeerenwodka oder Champagner rosé bestellten, an dessen Geschmack Dominika schnell Gefallen gefunden hatte. Mir reicht das, sagte sie immer wieder zu Małgosia, die sie überreden wollte, sich eine andere Arbeit zu suchen, sie sei viel zu gut, um nur Drinks an die verzogenen Nachkommen reicher Eltern und Fernsehstars mit künstlichen Titten auszuschenken; es ist nur ein Job, sagte Dominika, es ist nur ein Job, Frau Doktor. So ein Job reicht, um die Miete für das Zimmer zu zahlen, in einem Haus, in dem die Bewohner sich das Bad teilen; es ist nur ein Bad, sagte Dominika zur seufzenden Małgosia, hör auf so zu seufzen wie meine Mutter, es ist nur ein Bad mit Haaren in der Wanne, daran stirbt man nicht.
    Als Dominika ihre Zimmerwirtin Apostolea Ellinas zum ersten Mal sah, meinte sie, ihre verstorbenen Großmütter vor sich zu sehen, Zofia und Halina, äußerlich und auch im Wesen einander so gar nicht ähnlich, vereint und zu neuem Leben erweckt in Gestalt dieser Griechin aus dem Londoner Stadtteil Stoke Newington, die da auf der Schwelle stand, die Hände in die Hüften gestemmt, und sie mit Blicken maß. Dominika kannte keine Liebe auf den ersten Blick, doch das, was diesem Gefühl am nächsten kam, war der spontane Wunsch, an einem Ort bleiben zu wollen, und diesen Wunsch verspürte sie beim Anblick von Apostolea Ellinas ganz deutlich. Wegen der Zimmeranzeige? Wegen der Anzeige. Der obere Teil von Apostoleas Körper gehörte zu Halina, denn sie hatte das dunkle, schmale Gesicht einer Eidechse, schütteres Haar und schmale, herabfallende Schultern, aber der untere Teil war rund und ausladend, hier sah die Griechin wie Zofia aus. Ihre Füße

Weitere Kostenlose Bücher