Wolkenfern (German Edition)
polnischer Nachttopf, Kamieńsk? Wer hat denn je etwas von Kamieńsk gehört, meine Damen? Nach behutsamer Restaurierung könnte es ihm vielleicht gelingen, Napoleons Nachttopf an eine Dame von der Upper West Side zu verkaufen, die ihn als Schirmständer benutzen und zu ihren Gästen sagen würde, also, ich habe mir kürzlich einen Nachttopf gekauft, den Napoleon benutzt hat, ich habe ja ein solches Faible für Antiquitäten; wenn mir etwas ins Auge sticht, kann ich einfach nicht widerstehen. Man kann ihn auch als Blumentopf verwenden, schlug Dominika vor; als Schirmständer oder als Blumentopf, stimmte der Antiquar zu, warum nicht, aber das ändert nichts. Frau Eulalia Barron hätte genau das gewollt, sagte Dominika, als Sara und sie die Fifth Avenue hinunter nach Lower Manhattan gingen. Die Geschichte sollte weitergehen, deswegen hat die alte Dame mir den Nachttopf von Napoleon vermacht. Nein, sie hat ihn dir vermacht, weil sie wusste, dass du ihn sofort an jemand anderen weitergeben oder ihn verlieren würdest, sagte Sara. Ich frage mich, was jetzt passiert, überlegte Dominika, zu wem wird er jetzt wohl kommen? Das werden wir wohl nie erfahren. Ich werde meinen Anteil jedenfalls verjubeln, wir könnten sogar einen anständigen Wein auf den kleinen Kaiser trinken gehen, obwohl er das eigentlich nicht verdient hat. Ich gebe meinen Anteil für ein Ticket nach Johannesburg aus, entschied Sara, ich spüre, dass die Zeit gekommen ist. Die paar hundert Dollar, die sie zusammen vom Antiquar bekommen hatten, waren kein Vermögen, aber in dem großen Trödelladen auf der 23nd Street konnten sie sich heute reich fühlen. Dominika ist nicht sparsam, Geld an sich hat keinen Reiz für sie, sie hat kein Interesse daran, es anzuhäufen und zu besitzen, und sie zählt es nur aus Angst, dass es nicht für Miete und Essen reicht. Die Secondhandläden sind so verlockend, weil die dort gesammelten Kleidungsstücke und Gegenstände eine Vergangenheit haben, die sich in sie hineingefressen hat wie ein Borkenkäfer; deshalb fotografiert sie in der Enge zwielichtiger Umkleidekabinen das fleckige Innere von Handtaschen, körperlich und intim, ausgefranste Hosenbeine, durchgescheuerte Kragen, Gürtel mit den eingeprägten Rillen unterschiedlich dicker oder dünner Taillen, fransige Fäden, wo einmal Knöpfe saßen, Absätze durchgetanzter Schuhe. Sie ist fasziniert von dem Gedanken, eine Geschichte dieser abgelegten und gebrauchten Dinge erfassen zu können. Sara hatte gerade eine alte Schlangenlederjacke gefunden, und Dominika starrte gierig darauf, denn sie sah aus, als sei die Geschichte unter jede abblätternde Schuppe gedrungen. Probier sie an, sie warf die Jacke zu Dominika hinüber. Sie passt!, freute sich Sara, ich kauf sie dir als Geschenk, damit du in London an mich denkst.
Wild at Heart! Ivo kommt in den Laden, Sailor, bist du’s?, fragt er. Diese Jacke ist ein Symbol meiner Individualität und meines Glaubens an die persönliche Freiheit, zitiert Dominika Sailor mit einem Schritt auf Ivo zu. Trotz der vielen Jahre, die Ivo mit dem Verkosten von Schokolade, Schlagsahne und Mascarpone verbracht hat, ist er schlank geblieben; wenn es einen Titel »Dünnster Konditor« gäbe, hätte er gute Chancen darauf. Ivo hat nicht nur eine neue Haarfabe, sondern auch einen neuen Ohrring, keinen Zirkonia mehr, sondern einen hölzernen Ring. Was soll das sein?, fragt Sara und fasst mit zwei Fingern nach seinem Ohrläppchen. Ein Tribal-Ohrring!, erklärt Ivo, als auch Dominika in gespieltem Ekel das Gesicht verzieht; in Paris ist Tribal-Schmuck diese Saison das Angesagteste überhaupt, solltet ihr euch auch kaufen, wir gehören schließlich zum selben Stamm. Stell dich hierhin, ich mache ein Foto von dir, ich muss ein Bild von deinem Tribal-Ohr vor dem Hintergrund dieser Ladeneinrichtung haben!, bittet Dominika. Sara verdreht die Augen zum Himmel, genau in dem Moment, als das Objektiv des Fotoapparats auf sie gerichtet wird. Ist das chronisch?, fragt Ivo. Sara nickt. Ivo wirft sich in Nora-Desmond-Pose, und Dominika stellt die Kamera ein. Denkt ihr eigentlich an Scheidung?, fragt Sara; nein, vorerst sind sie nicht an einer Scheidung interessiert, denn beiden ist die Scheinehe ganz nützlich.
Ivo hat seine ehrgeizigen französischen Pläne zum Teil verwirklichen können. Wenn er davon erzählt, zitiert er den Witz, den er von Dominika kennt: keine Autos, sondern Fahrräder, und nicht verteilt, sondern gestohlen. Eine von einem Amerikaner
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