Wolkenfern (German Edition)
als Dominik Chmura leben, warum nicht; ein hochgewachsener dünner Mann in Sailors Lederjacke und mit einem alten Hut, zum Beispiel ein Kontrabassist. Mein Zwillingsehemann, denkt Dominika-Dominik; sie wird sich mit Sehnsucht an dieses Bild erinnern.
Am Tag danach flog Dominika nach London, und Ivo lernte einen Spanier kennen, in den er sich wider Willen verliebte, denn der Spanier in Anzug, gestreiftem Hemd und mit Aktentasche hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem eisverschmierten Jungen, von dem Ivo träumte. Als er Dominika am Telefon davon erzählte, zitierte diese Apostolea Ellinas’ Motto, das Leben ist nicht leicht, Ivo, das macht nichts.
Apostolea behandelt Dominika wie ihre eigene, auf wundersame Weise zurückgekehrte Tochter, doch sobald sie sich ihrer Täuschung bewusst wird, gerät sie in Wut. Tote Töchter stehen nicht plötzlich mit einem Rucksack in der Tür, was würde der Pope zu solch einer Gotteslästerung sagen, Apostolea bekreuzigt sich und küsst die Ikone, aber das ist zu wenig. Die Wut lässt sie in der Küche aus, wo sie, mit Töpfen klappernd, lauthals weint, und Dominika kommen die griechischen Klageweiber in den Sinn, von denen sie Eulalia Barron vorgelesen hat; in ihrem kleinen Zimmer wiegt sie sich auf den anschwellenden Wogen der Verzweiflung, die im Stockwerk unter ihr wütet. Apostolea muss einfach von Zeit zu Zeit weinen, dann brüllt sie auf Griechisch und heult, vergießt Tränenströme und schlägt mit den Fäusten auf die erstbesten Gegenstände, manchmal zerbricht sie dabei Geschirr, dann weint sie noch lauter, vielleicht aus Trauer um den zerstörten Besitz. Wenn das Gewitter vorbei ist, beseitigt sie schluchzend und leise fluchend die Spuren ihrer Wut und macht sich unmittelbar danach an die Zubereitung einer köstlichen Spezialität. Dominika!, ruft Apostolea, wenn das Gericht aufgetischt ist und sie wieder in Stimmung kommt, Geschichten über Zypern zu erzählen und über die verlorene Tochter, Afroditi.
Du kannst dir eine normale Wohnung mieten, redet Małgosia auf Dominika ein, du verdienst doch, bald wirst du besser verdienen als ich, du brauchst Platz, ein Atelier. Du kannst sogar einen Kredit beantragen, ein Haus kaufen, du musst einen Plan haben, Dominika Chmura. Małgosia hat inzwischen so viele von Dominikas achtlos liegen gelassenen Fotografien gesammelt, dass sie eine ganze Mappe damit füllen kann. Wie sich zeigt, hatte sie von Anfang an einen Plan für diese Bilder und wartete nur auf die richtige Gelegenheit. Ohne Plan würde sich Małgosia genauso halbblind und schutzlos fühlen wie ohne ihre elegante Brille. In einem halben Jahr macht sie einen Kurs in Paragliding, in acht Monaten reicht sie ihre Doktorarbeit ein, in fünf Jahren bezwingt sie den Mount Everest, und in spätestens zwei Jahren will sie dafür gesorgt haben, dass Dominikas Talent anerkannt wird und die Freundin keine Drinks für zugekokste Geldverprasser mehr mixen muss, sondern vom Fotografieren leben kann. Dominikas Fotografien, die Małgosia hinter deren Rücken beim Fotowettbewerb des Wochenendmagazins einer der größten Tageszeitungen eingereicht hatte, gewannen den ersten Preis. Małgosia war darüber nicht erstaunt, wurde sich aber bewusst, dass der schwerste Teil noch vor ihr lag: Sie würde der Freundin ihr eigenmächtiges Handeln gestehen müssen. Ich danke dir, aber mach so etwas nicht noch mal, sagte Dominika, als sie in Apostoleas Garten saßen, versprich, dass du mich nicht mehr retten willst, versprich, dass du jetzt etwas für dich selbst tust. Nicht irgendeinen dämlichen Plan wie die Besichtigung der sieben Weltwunder, sondern etwas, was du wirklich willst. Aber gehst du hin? Nimmst du den Preis an und gehst zu dem Kurs? Suchst dir eine Arbeit als Fotografin? Mietest eine normale Wohnung? Triffst dich mit einem Agenten? Ja, nehm ich, geh ich, mach ich, aber hier ausziehen will ich nicht, das genügt mir, ich wohne gern bei Apostolea. Spürst du nicht diesen Duft, riech doch mal, ich wohne in einem Haus, das nach Zimt riecht, in einem Haus, in dem ein griechisches Klageweib Baklava für mich macht, kennst du viele solche Orte in London? Ich verstehe nicht, wie du so planlos leben kannst, wieso sitzt dir die Zeit nicht im Nacken und die Sorge, so viele wichtige Dinge nicht zu schaffen? Małgosia begreift es nicht. Was für wichtige Dinge denn?, fragt Dominika, und die Freundin winkt resigniert ab.
Das Leben ist nicht leicht, seufzt die alte Griechin und stellt einen
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