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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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geführte Chocolaterie in Paris war, wie sich herausstellte, nicht mit der französischen Vorstellung einer Chocolaterie vereinbar, denn, so wurde es Ivo von verschiedenen Leuten erklärt, der Name sage ja bereits, dass es eine französische Einrichtung ist, deshalb sei es ganz unmöglich, dass sich ein Amerikaner, und sei er noch so talentiert, auf derartige Feinheiten versteht wie Schokolade, die nur durch Zufall nicht aus Frankreich, sondern aus Mexiko komme. Schließlich hatte sich Lyon freundlicher gezeigt als Paris und ein simples Café als einfacher zu handhaben als eine Chocolaterie, und Ivo führt nun seit anderthalb Jahren ein solches zusammen mit einem französischen Teilhaber. Zu Ivos Bedauern kamen amerikanische Touristen und Studenten, oh, was für ein netter Coffee Shop. Dafür sitze ich in Lyon, sagt Ivo betrübt, ich rede Französisch mit diesen Schnecken- und Froschfressern, damit meine Landsleute denken, dass ich einen sehr netten Coffee Shop führe, aber irgendwomit muss man ja anfangen. Dank der Tatsache, dass Ivos Teilhaber ein angeblich hundertprozentiger Hetero ist, geschlagen mit einer kinderreichen Familie und einem familiären Hang zum ständigen Geschrei, gestaltet sich ihr Verhältnis problemlos, und es besteht keine Sorge, dass Ivo sich verlieben könnte. Von wegen verlieben! Er sieht aus wie Louis de Funès! Meine Liebe sind Jungs und Schokolade, sagt Ivo auf eine Art, die bei jedem anderen affektiert und unerträglich gewirkt hätte, bei ihm aber nicht stört, denn Ivo spricht einfach die Wahrheit seiner süßen Geschichte aus. Schokolade! Nach wie vor interessieren ihn vor allem Schokolade und Schokoladendesserts, doch in letzter Zeit widmet er der Eiscreme immer mehr Aufmerksamkeit, in der Eiscreme liegt die Zukunft. Beim Wettbewerb in Italien, auf dem Ivo gewesen ist, hat zum wiederholten Mal ein Italiener namens Sergio gewonnen, aus San Gimigniano, einer kleinen Stadt in der Toskana. Er hat Sorbets aus dem dortigen Vernaccia-Wein zubereitet, Sorbets aus Pomelo und aus Champagner, dieser Sergio, und fantastische Pistazienkreationen gezaubert, die beige waren, denn so sollten sie sein, und nicht grün, und die schmeckten wie ein Abend auf Sizilien. Ivo war hingerissen von dieser italienischen Eiscremeorgie und fährt nun in den Ferien in die Toskana. Vielleicht würde Sergio ihn für ein kurzes Praktikum nehmen? Im Sommer wimmelt es in der Toskana doch sicher von schönen Jungs, herumreisenden Studenten mit Rucksäcken, mit schmutzigen Beinen, in kurzen Hosen voller Taschen, mit Lonely-Planet-Reiseführern; sie machen Rast auf dem mittelalterlichen Marktplatz in San Gimigniano und schlecken Eiscreme, riechen nach etwas zugleich Frischem und leicht Angeschmuddeltem, Klebrigem. Wenn sie sich mit Eis bekleckern, wischen sie es unbeholfen mit den Händen weg, verschmieren es, was für ein herrlicher Anblick. Was für ein herrlicher Anblick, meine Lieben! Ivo träumt davon, so einen Jungen zu Hause zu haben, einen immer hungrigen Studenten, und Desserts für ihn zu machen, die erlesensten Himmelsspeisen aus Schokolade, Kakaobohnen der besten Art würde er sich aus Venezuela oder Madagaskar kommen lassen, Vanille von der Insel Réunion, Sahne aus Isigny. Und schon hieße es nicht mehr lonely planet , sondern Planet der Liebe! Es zeigt sich allerdings immer wieder, dass Ivo im täglichen Leben nicht genug Zeit hat, um die Jungs, die er findet, mit Desserts aus eigener Herstellung zu füttern, denn ein Café zu führen ist um einiges anstrengender, als er dachte, egal, ob es mehr an einen Coffee Shop erinnert, selbst an Starbucks, bloß um Gottes willen nicht an ein Lokal im Ritz. Ob sie nicht zu ihm kommen möchten?, schlägt er Dominika und Sara vor. Er würde ihnen Arbeit geben, am Anfang könnten sie zusammen wohnen, später würde er ihnen helfen, etwas zu finden. Manchmal kommt es Ivo so vor, dass Dominika ein bisschen wie sein erträumter süßmäuliger Junge aussieht, den er noch nicht getroffen hat, ein großer und biegsamer, doch zugleich starker Junge, männlich und weiblich, mit einer feinen weißen Narbe, die sich über die Wange zieht wie ein Altweibersommerfaden; ja, Dominika erinnert an einen solchen Jungen, zum Beispiel jetzt, wo sie in der Umkleidekabine eines New Yorker Trödelladens steht, in dieser Schlangenlederjacke, und ihn unter der Fedora-Krempe hervor anblickt. Dominika sieht Ivos Blick und ihrer beider Bild im Spiegel, versteht und lächelt. Sie könnte irgendwo

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