Wolkenfern (German Edition)
die Lippen zusammenzupressen! Kein Fremder konnte sie so reizen wie ihre Schwiegermutter, mit der sie schließlich mehr Jahre hatte verbringen dürfen als mit dem zu früh verstorbenen Ehemann. Konnte dir wohl nicht schnell genug gehen, Mutter, sagte sie zu Halinas Grab oder zu dem Foto, das Dominika gemacht hatte und das jetzt gerahmt in Jadzias Wohnung stand. Alles wegen dieser Glimmstengel, immer bloß paffen, mal ein bisschen hygienisch leben, das war nicht drin. Das hast du nun davon, Mutter. Noch dazu war Krysia Śledź, Jadzias engste Freundin, zum Arbeiten in die BeErDe gegangen, die nicht mehr die BeErDe war, sondern das große wiedervereinte Deutschland. Als die Zechen dichtmachten und die Männer nach einem halben oder fast ganzen Leben als Bergmann mit einem Schlag keine Bergleute mehr waren, stieg auf Piaskowa Góra die Verzweiflung hoch, denn wenn man von einem, der zwanzig Jahre lang Bergmann war, den Bergmann wegnimmt, bleibt nicht viel übrig, eine menschliche Hülle, eine Marionette mit schwieligen Händen und schwarz umrahmten Augen. Etliche brachten sich um – manche drehten den Gashahn auf, einer sprang vom Dach des Babel, zwei hängten sich auf. Die Säufer waren nicht zu zählen. Andere blieben zu Hause und saßen herum, ihnen fehlte die Kraft zu so drastischen Schritten wie dem Sprung vom Dach, selbst zum Trinken hatten sie keine rechte Lust, sie saßen im schummrigen Licht vor dem Fernseher, die Vorhänge stets zugezogen, damit die Sonne nicht auf den Bildschirm schien und blendete. Wer seine Abfindung für einen Fernseher ausgegeben hatte, guckte in neue Fernseher, wer sie für ein Auto ausgegeben oder versoffen hatte, in alte, und so blieb es, Tag für Tag, nur die Ehefrauen klapperten immer lauter mit den Tellern und verloren langsam die Geduld. Zdzisiu, sitz da nicht so vor der Glotze, langsam verlier ich die Geduld, sagte Krysia Śledź, die noch zu den ihren Angetrauten freundlich gesonnenen Ehefrauen gehörte. Zdzisio warf ihr einen kurzen Blick zu, seufzte, da haben die uns was eingebrockt, Krysia, also ehrlich, was die uns da eingebrockt haben, und seine Augen kehrten wieder zum Bildschirm zurück. Eigentlich machte das Fernsehen den ehemaligen Bergleuten jedoch keinen Spaß, genauso wenig wie das Autofahren, denn man fährt zwar sonntags an einen See, poliert die Karosserie blank, trinkt ein Bier, grillt Würstchen und stöhnt darüber, dass es am Montag wieder zum Robotten geht, aber auf Teufel komm raus irgendwo hinzufahren, wenn der Montag sich nicht vom Sonntag unterscheidet, das ist irgendwie nichts. Andere gingen raus, rotteten sich zu Gruppen zusammen, die sich einzig und allein durch den Mangel an Beschäftigung und Hoffnung definierten. Sie lungerten herum, wo man sich anlehnen oder sitzen konnte, starrten vor sich hin und spuckten gelegentlich aus. Gut eignete sich dafür zum Beispiel die Wand des Real-Supermarkts auf Piaskowa Góra; man konnte angelehnt stehen und Schluck für Schluck sein Bier trinken, wenn man Geld dafür hatte, und wenn man Geld für mehr Bier hatte, rutschte man langsam, mit Pobacken und Schultern die Wand streifend, zu Boden. Die am tiefsten Gesunkenen blieben länger beim Real, graue verschrumpelte Elendshäuflein, die ab und zu vom Wachmann mit einem Tritt geweckt wurden. So mancher, der einmal Bergmann gewesen war und eine Galauniform besessen hatte, schlurfte jetzt in vollgepissten Hosen über den Real-Parkplatz und bettelte um ein paar Złoty für Haarwasser oder Autovidol.
Noch schwerer als der Geldmangel war für die Ehefrauen die ständige Anwesenheit der zu Nichtsnutzen degradierten ehemaligen Ernährer zu ertragen. Meine Güte, klagte eine der anderen verblüfft, ich wusste gar nicht, dass meiner so eine Nulpe ist. Als er noch arbeitete, war er nie da, und jetzt ist er immer da, ich weiß nicht mehr, was ich machen soll, er bewegt seinen Arsch keinen Millimeter, bringt nicht mal den Müll runter. Da sollten Sie mal meine Flasche von einem Mann sehen, ich sag, nun mach schon, Mirek, krieg deinen Arsch hoch, doch er bloß: lohnt sich nicht, Leben hat keinen Sinn. Das sollte ich mir mal einfallen lassen – lohnt sich nicht, hat keinen Sinn, wenn ich mal so im Sessel hocken würde, dann würden wir in Dreck und Hunger verrecken. Die Untätigkeit ihrer arbeitslosen Männer trieb die geschäftigen Frauen, die ihre Hausarbeit nicht verlieren konnten, weil sie nie für sie bezahlt worden waren, in den Wahnsinn. Depression, sagten die Ärzte,
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