Wolkenfern (German Edition)
sehr flexibel; Frauen, die Nachttöpfe raustragen, Geschirr scheuern, Pampers wechseln mussten, Frauen, die Fenster zum Strahlen bringen, pausenlos schrubben, scheuern, saubermachen, bis in die Morgenstunden bügeln und auf Hochglanz bohnern mussten und keine Fragen stellten; Frauen, die Suppen umrührten, Popos abwischten, wenn der Kleine Fertig! rief, für ein paar Groschen Erdbeeren pflückten, junge Frauen mit spreizbereiten Beinen, ältere mit Erfahrungen, meist schlechten, die sich nicht scheuten, auf Knien zu arbeiten, wozu sind sonst die Knie da?, angelernte, anspruchslose, festentschlossene, gute, schlechte, kluge, dumme, Sprachkenntnisse nicht wichtig; Autobusse voller Wałbrzycherinnen fuhren ab nach Westen. Zurück kamen Berichte wie Brieftauben mit Botschaften am Bein; eine war angeblich zum Putzen gefahren, doch dann entpuppte sich das Hotel als Bordell, eine hatten sie verprügelt, ihr den Pass weggenommen, nur durch ein Wunder war sie über die Regenrinne abgehauen, eine andere hatte dem, der sie schlagen wollte, sechs Mal ein Messer in den Bauch gerammt und saß jetzt im Knast, sie sitzt, stellen Sie sich das mal vor, aber in denen ihren Gefängnissen ist es ja wie bei uns im Hotel; wieder eine andere fuhr weg, um Kinder zu hüten und tanzt jetzt an der Stange, ein Bergmann hat in einem ganzen Monat nicht verdient, was die jetzt an einem Abend ranschafft; und die kleine Rothaarige, die Lustige, die neben dem Krankenhaus wohnte und immer die Katzen gefüttert hat, wie vom Erdboden verschluckt, sag ich Ihnen, wie vom Erdboden verschluckt.
Also, ich bin dann mal weg zu den Kartoffelköppen, Jadzia, seufzte Krysia und umarmte die Nachbarin, ich schnall den Gürtel enger, esse das, was es gibt, und bring vielleicht noch ein bisschen was mit, das leg ich für Pati zur Seite, eine neue Küche wollt ich mir auch machen lassen, Küsschen, Küsschen, mach’s gut. Für Zdzisio hab ich eine ganze Tiefkühltruhe Buletten eingefroren, und Bigos und Piroggen auch. Pass ein bisschen auf ihn auf, Jadzia, sonst geht er mir völlig vor die Hunde. Halt mir die Daumen, Jadzia! Heilige Muttergottes, dachte Jadzia, als sie durchs Fenster sah, wie Krysia mit ihrem großen Koffer Richtung Haltestelle zog, alle gehen immer weg, bloß ich bleibe am selben Ort; wenn ich jetzt nicht unter die Leute gehe, werd ich in diesem Krähennest den Löffel abgeben, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Man hat ja kaum noch Grund, den Mund aufzumachen. Wie alle einsamen, redehungrigen Menschen versuchte Jadzia sich von den alltäglichen Schwätzchen beim Einkaufen und vor dem Babel zu ernähren; sie saugte jedes Wortknöchelchen bis aufs Letzte aus, nagte die zähen Sehnen und Adern ab, doch sie spürte, wie in ihr das Bedürfnis nach mehr erwachte, nach etwas anderem, das die durch die Welt schweifende Tochter in ihrem Herzen ausgesät hatte. Es war ein komisches Gefühl wie ein innerliches Zwicken, und Jadzia schob es auf die Wechseljahre; es reicht nicht, dass man komplett aus dem Leim geht, jetzt krieg ich auch noch Hitzewellen, klagte sie und verdächtigte diese Hitze der Urheberschaft ihrer komischen Vorstellungen von einem vollkommen anderen Leben, dieser plötzlichen Anwandlungen von Sehnsucht nach etwas Unbekanntem, dieser geradezu umstürzlerischen Mutmaßung, es könnte auch für sie erreichbar ein ganz anderes Leben geben. Großartige Städte, fremdländisches Essen, unangenehme weil unverständliche Sprachen, die zugleich verlockend waren, denn schließlich sprach ihre Tochter sie ja. Diese Fotos, die Dominika ihr schickte! Unten nur kurze Anmerkungen, Herr Janusz, Pole, Hausmeister in der Schule um die Ecke, Frau Sabra, Türkin, eine Bekannte meiner Vermieterin, Unbekannte auf einer Bank an der Haltestelle, Londoner Osten, Westen, Brücken, Parks, herrenlose Hunde. Von den Fotos ihrer Tochter schauen Jadzia Gesichter entgegen, und etwas darin weckt in ihr die Frage nach ihrer Geschichte. Was haben sie durchgemacht? Mögen sie auch Erdbeermarmelade? Jadzia kann gar nicht aufhören, sich solche Fragen zu stellen. So eine Frau Sabra zum Beispiel, eigentlich auch eine ältere Frau wie sie selbst, und doch ganz anders. Türkin! Jadzia ist in der letzten Zeit ein bisschen mitgenommen, das lässt sich nicht leugnen. Irgendwie bin ich ganz daneben, dachte sie, während sie in den Badezimmerspiegel sah, irgendwas macht mich neuerdings ganz konfus. Sie schüttelte ihre Dauerwelle und nahm eine Verdauungspille.
Jadzias erster
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