Wolkenfern (German Edition)
Versuch, unter die Leute zu gehen, bewegte sich auf dem Boden der Religion, denn da hatte sie festen Grund unter den Füßen, und die Kirche war und blieb der Ort, den sie aufsuchte, um Atem zu schöpfen und Ruhe zu finden. Im Frühling nach Dominikas Besuch machte sie sich also auf eine Pilgerbusfahrt nach Tschenstochau, organisiert vom jungen Kaplan Michał. Sie würde für ihre Toten beten, die Schwarze Madonna um Schutz für Dominika bitten, und wenn freie Zeit wäre, ein bisschen in der Stadt durch die Läden bummeln. Am Anfang gefiel ihr das Ganze sogar, besonders die gemeinsamen Gebete zum heiligen Christophorus auf dem Weg und das Singen, die draußen vorbeiziehenden Felder und Dörfer, doch bei der ersten Rast, als die Pilger draußen herumstanden und schwatzten, bekam Jadzia wieder so ein komisches Gefühl. Die Hochstimmung verflog. Neben ihnen auf dem Parkplatz hielt ein Bus voller bunter, fröhlicher junger Leute, die in einer Fremdsprache redeten, die Pilgerinnen rückten enger zusammen und hielten ihre Handtaschen fest umklammert auf Milzhöhe, die Pilger pflanzten sich in Gockelpose auf. Wer weiß, so eine Gruppe ausländischer Jugendlicher wartete ja vielleicht nur auf die erstbeste Gelegenheit, sich auf Pilger zu stürzen und ihnen die Wurstbrötchen zu entreißen, die Kaplan Michał in einem großen Korb mitgebracht hatte und nun verteilte. In einem zweiten Korb hat er Tomaten, auch ein begehrter Happen. Alles bloß wegen dieser Judenkommune, glauben Sie mir, sprach ein schnauzbärtiger Pilger zu einer wohlbeleibten Pilgerin und bot ihr Schokolade an; ja, die sind wirklich überall, stimmte die Pilgerin zu, schielte zur fremdländischen Jugend hinüber und reichte dem Pilger im Gegenzug für die Schokolade ein hartgekochtes Ei von einer heimischen Henne, sie kauten, tranken; in der Regierung sitzen sie, bei den Zeitungen, an den Universitäten. Gucken Sie mal, alles Ausländer, ganze Busse voll karren sie zu uns rüber, der mit dem Schnauzbart – sie wies mit dem Kopf diskret auf die lärmenden Jugendlichen; das ist ein neuer Schwedensturm, sag ich Ihnen. Jadzia war das Gewirr der jungen Stimmen sympathisch, es erinnerte sie an ihre Tochter, und das Schönste war, dass Jadzia die Sprache erkannte: Portugiesisch. In dieser wie Blätterrauschen klingenden Sprache sang eine Sängerin namens Amalia, Dominika hatte ihr eine Kassette mitgebracht. Diese Amalia sang so schön, dass man weinen mochte, auch wenn man die Worte nicht verstand. Jadzia hatte erst ein Gesicht gezogen, etwas Nicht-Polnisches wollte sie gar nicht anhören, aber Dominika hatte den Rekorder eingeschaltet, den Finger an die Lippen gelegt, und als die ersten Fado-Klänge durch die Luft schwebten, hatte die verdrossene Jadzia auf einmal eine warme Welle in Bauch und Brust gespürt. Sie war auf das Sofa geplumpst, heilige Muttergottes, hatte sie geseufzt, mit Tränen in den stachelbeerfarbenen Augen. Inzwischen wäre sie schon bereit zuzugestehen, dass Amalia besser sang als Seweryn Krajewski. Die sprechen Portugiesisch!, entfuhr es ihr. Die Pilger starrten Jadzia an, als hätte sie den Verstand verloren, und schenkten ihrer Sprachenerkenntnis keine Beachtung. Die Wohlbeleibte mit dem hartgekochten Ei seufzte nur, oje, was soll daraus werden, was soll nur daraus werden! Die Ausländer kaufen das ganze Land auf!, mischte sich eine Pilgerin mit Heuschnupfen ein, die bis dahin geschwiegen hatte, und nieste. Was für ein Land?, fragte Jadzia, um den Fauxpas mit dem Portugiesischen wiedergutzumachen und sich ein bisschen ins Gespräch zu mischen, sie war ja schließlich nicht unter die Leute gegangen, um abseits zu stehen. Sind Sie denn von gestern? Unser Land kaufen sie auf! Ach so. Jadzia biss wieder in ihr Wurstbrötchen, gab aber nicht auf. Sie schluckte den letzten Bissen herunter und fragte: Sie haben Ihr Land an die verkauft? An wen?, wunderte sich die mit dem Heuschnupfen, die sich um das polnische Land sorgte, und nieste. Diese Ausländer da! Jadzia wollte ihr auf die Sprünge helfen. Ich? Aber ich hab doch gar kein Land! Die Frau war ganz entsetzt. Ich hab nie mit Ausländern gehandelt! Sie nieste. Aha, sagte Jadzia, haben Sie denen Land verkauft?, sie wandte sich an den mit dem Schnauzbart, dessen Blick bereits seit geraumer Zeit über ihren Busen wanderte. Nicht direkt, aber man weiß ja nie, Verehrteste, der Feind schläft nicht, meinen Cousin zum Beispiel haben sie schon einmal gefragt, ob er seine Felder nicht verkaufen
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