Wolkenfern (German Edition)
aber welcher ehemalige Bergmann ging schon wegen Traurigkeit zum Arzt? Zum Arzt gingen sie nur, wenn die schwarze, saure Traurigkeit in einer normalen Krankheit Gestalt annahm, in Magengeschwüren oder Knötchen auf der Zunge. Dann hockten sie schlaff im Wartezimmer neben ihren kerzengerade sitzenden Ehefrauen. Du Flasche! Krysia Śledź verlor die Geduld. Beweg deinen Arsch, du bist kein männliches Dornröschen, lass dir was einfallen, tu was. Depression! Das könnte dir so passen, davon krieg ich keine Bulette gebraten! Sie ging mit ihrem Mann zur Bezirksberatungsstelle für Psychotherapie, doch als Zdzisio in der Schlange an der Anmeldung einen alten Kumpel erkannte, kniff er und machte sich davon.
Es gab alte Zechen, erbaut von den Deutschen auf festem Boden, aus dem man mit dem bloßen Stock Kohle pulen konnte, wo die Frauen mit ihren Männern in provisorisch errichtete Schächte gingen, um zu helfen; ab und zu wurde jemand in diesen Schächten verschüttet, aber wenigstens war es eine ordentliche Arbeit. Die Männer schufen sich in diesen Schächten Leben und Ordnung gewöhnlicher Zechen und redeten in ihrer Bergmannssprache; man musste sich nur bücken, unter die Erde kriechen und war schon daheim; die schwarze muffige Luft wirkte belebend auf sie. Doch die Frauen von Piaskowa Góra hatten größere Ambitionen, als auf allen vieren unter der Erde herumzukriechen und die ausgegrabene Kohle zu verkaufen; schließlich hatten sie ihre Jugend in einer modernen Wohnsiedlung verbracht, und das verpflichtete, sie hatten früher mit der Vergünstigungskarte für Bergleute einkaufen dürfen, damals hatte jeder sofort erkannt, wer wer war, denn die Frauen der Kumpel kleideten sich alle gleich. Sie erinnerten sich an Edward Giereks Besuche in Wałbrzych und konnten nicht fassen, dass von alledem nichts geblieben war als die Arbeitslosen, die sie jetzt zu Hause am Hals hatten. Doch als die arbeitslosen Bergleute allem Schimpfen und Zanken zum Trotz in ihrer Starre verharrten, begannen die Frauen zu grübeln, zu tüfteln, zu organisieren und zu kombinieren. Irgendwer hatte irgendwem irgendwann irgendwas gesagt, irgendwen gekannt, mit der Tochter der Cousine von irgendjemandes Tante zusammengearbeitet, deren Tochter einen Deutschen geheiratet hatte, wer war das noch gleich? Wahrscheinlich die schwarze Beata aus der Fleischerei, diese Kindergärtnerin Aga könnte sie kennen; und schon ging das Telefonieren los, man verabredete sich zum Kaffee, tauschte Kuchen aus, selbstgebacken nach dem neuesten Rezept aus dem »Häuslichen Ratgeber«, ja weißt du, ich bräuchte, aber gerne doch. Heute helfen Sie mir, morgen ich Ihnen, aber jetzt erst mal hier die Pralinen, selbstgemachtes Pflaumenmus, nennen wir uns doch beim Vornamen, ich heiße Krysia, ich Agata, kurz Aga.
Es stellte sich heraus, dass jetzt, da das Reisen leichter geworden war, jenseits der westlichen Grenze die Nachfrage nicht nur nach polnischen Ehefrauen stieg, sondern auch nach Polinnen für alle möglichen anderen Aufgaben. Die Stellung der Ehefrau eines Deutschen war natürlich weiterhin das Begehrteste, das war wie eine feste Anstellung und nicht bloß tageweise, aber wenn es keine gute Arbeit gibt, nimmt man eben, was man kriegen kann. Nicht jede hat so ein Glück wie Grażynka! Krysia Śledź wollte einfach irgendeine Arbeit, denn für sie als Frau ohne jeden beruflichen Abschluss kam nicht viel Neues in Frage, das sie ohne Verlust von Würde und Ehre erlernen konnte. Frauen, die wie Krysia schon Ehefrau waren oder aus Schönheits- und Altersgründen wenig Aussicht auf eine Verheiratung hatten, standen andere Aufgaben offen sowie die vage Hoffnung, es könnte doch noch etwas zünden, dieses kleine Wunder, das schon so lange auf sich warten ließ. Für den Anfang kann ich putzen, sagte Krysia Śledź zu Jadzia, später klappt vielleicht was anderes, entweder ich schaff es von hier weg oder ich geh hier ein, mit so einer Depression wie mein Zdzisio. Wenn du willst, Jadzia, guck ich mich um und find dir auch eine Arbeit; wenn du da putzen würdest, dass das Domestos nur so schäumt, dann würden die Deutschen vor Staunen den Mund nicht mehr zukriegen.
Krysia Śledź war nicht die erste Arbeitslosengattin, die sich zum Broterwerb aufmachte. Putzfrauen ohne Federlesens, adrette Zimmermädchen, die beim ersten Morgengrauen parat standen, Kellnerinnen mit Hirn und Hüften, sanfte und saubere Altenpflegerinnen, mit starken Armen, ans Beugen gewöhnt und insgesamt
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