Wolkenfern (German Edition)
schrumpfen und zu klein werden, um so viel Schönheit aufzubewahren. Dimitri hatte schon als Gymnasiast Journalist werden wollen, seit seinem achtzehnten Lebensjahr veröffentlichte er Texte, die sein stolzer Vater aus den Zeitungen ausschnitt und heimlich, damit es dem Jungen nicht zu Kopfe stieg, in einer speziellen Mappe aufbewahrte. Als Dimitri mit dem Studium begann, hatte er im Grunde schon einen Beruf. Georgi, der ehrgeizigste der Geschwister, hatte sein Jurastudium in London beendet und die etwas überhebliche, aber sehr schöne Afroditi Ellinas geheiratet, die sofort schwanger geworden war. Als Sofia, das jüngste Kind der Angelopoulos, gerade einen Studienplatz bekommen hatte, kam die Nachricht vom Tod der alten Tante Foula aus Karpathos, die ihres Alters, aber auch der etwas verworrenen Verwandtschaftsverhältnisse wegen von Maria Angelopoulos Omitantchen genannt wurde. Omitantchen Foula hatte sich um den Familiensitz gekümmert, der aus zwei alten Häusern am Hang bestand. Nach Foulas Tod beschlossen die Eltern Angelopoulos, nach Diafani zurückzukehren und in einem dieser Häuser zu wohnen – da, wo Maria Angelopoulos zur Welt gekommen war. Ein Jahr darauf hatten Georgi und Afroditi ihren kleinen Sohn Ted bei den Großeltern auf Karpathos gelassen und waren nach Zypern geflogen, das Flugzeug zerschellte am felsigen Ufer der Insel, und alle an Bord stürzten in einer glühenden Kugel aus Feuer und Rauch in den Tod.
Dimitri Angelopoulos war damals noch Student gewesen. Er konnte nicht ahnen, dass ihn die beiden testamentarisch zum Vormund ihres Kindes bestimmt hatten, sollte ihnen etwas zustoßen. Nichts hatte ihn darauf vorbereitet, von einem Tag auf den anderen für einen einjährigen Jungen sorgen zu müssen. Doch er hatte das Kind zu sich genommen, wie sein Bruder es erwartet hatte, in stiller Entschlossenheit und ohne mit dem Schicksal zu hadern.
Dimitri wusste es zu schätzen, dass seine Eltern bereit waren, den Jungen zu nehmen, doch er fühlte sich verantwortlich, und außer in den Sommerferien und an Feiertagen war Ted bei ihm in Berlin. Ein Student mit kleinem Kind war eine seltene Erscheinung, und Dimitri erfreute sich eine Zeitlang eines außergewöhnlichen Erfolges bei Frauen, die der Anblick des blutjungen Griechen mit dem kleinen Jungen, den sie für seinen Sohn hielten, rührte. Manchmal nahm Dimitri Ted mit zur Uni, wo der Junge schlief oder still unter der Bank spielte, als verstünde er, dass er nur dann nahe bei dem Menschen sein durfte, den er Papa nannte, wenn er sich so verhielt, wie es nötig war. Die Frauen, die unwiderstehliche Lust verspürten, sich um diesen jungen Mann und sein süßes Kind mit den großen Augen zu kümmern, blieben eine Zeitlang bei Dimitri und Ted, einige gaben sich redliche Mühe, doch keine Beziehung hielt. Der rührende Anblick und die Aussicht auf eine schon fertige zweiköpfige Familie bedeuteten nämlich nächtliches Aufstehen, ständiges Durcheinander, Halsweh und unzählige Allergien, unter denen der kleine Ted besonders dann zu leiden schien, wenn die Hartnäckigkeit einer der Frauen ein halbes Jahr überschritt und sich in ihrem Zuhause Alltagsgegenstände wie Damenrasierer oder Nagellack einschlichen. In dieser Etappe bekamen manche Frauen das Bedürfnis, über Themen wie Zukunft, Beständigkeit, feste Beziehung zu sprechen. Vor allem müsse er erst sein Buch zu Ende schreiben, antwortete Dimitri dann. Das Schreiben ging allerdings nicht recht voran, und er strich nachts wieder durch, was er am Tag geschrieben hatte.
Sie fühlten sich wohl zu zweit, und Dimitri entdeckte nicht nur verborgene Reserven von Fürsorglichkeit in sich, sondern auch eine gewaltige Genusssucht; als seine Mutter Maria mitsamt ihrer Gewohnheit mehrgängiger, bis spät in die Nacht zelebrierter Mahlzeiten wieder verschwunden war, lernte er selbst kochen, und keine Frau konnte ihn zu Sojaschnitzel oder fettarmer Milch überreden. Gegen die von seinen Vorfahren ererbte Neigung zum Zunehmen kämpfte er im Fitnessstudio an; er joggte und lief Marathon, kehrte völlig ausgelaugt und ausgehungert zurück, briet Lammkoteletts und Mezedes und lud seine Schwester Sofia mit ihrem deutschen Verlobten, ein paar Freunde und gelegentlich die jeweilige Freundin ein. Dimitri gefielen sportliche, schlanke Frauen mit dunklem Haar und dunklen Augen, zu ihm hingezogen aber fühlten sich weiche warme Wesen mit rundlichen Bäuchen und vollen Brüsten, die unbedingt Blondinen sein wollten,
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