Wolkenfern (German Edition)
würde, sie wollten da so eine Wohnsiedlung bauen mit einer Mauer drum herum. Man muss sich gegen die Ungläubigen zur Wehr setzen, das Land unserer Väter gebe ich jedenfalls nicht her! Der schnauzbärtige Pilger hatte sich in Rage geredet. Ungläubige? In Polen? Hier gibt es aber doch nur Gläubige, wunderte sich Jadzia, und ihre stachelbeerfarbenen Augen strahlten lauter. In meinem Treppenhaus zum Beispiel, wenn da der Pastor seine Weihnachtsbesuche macht, dann bittet ihn jeder herein, es ist noch nie vorgekommen, dass einer ihn nicht hereingebeten hätte. Au weia, sie hat wohl schon wieder das Falsche gesagt. Der mit dem Schnauzbart, die mit dem aufgekauften Land, die gar kein Land hat, und die mit dem Ei – sie alle starren Jadzia an. Meine Liebe, Sie wollen uns wohl ein bisschen auf den Arm nehmen?, lachte der mit dem Schnauzbart kokett, denn Jadzia gefiel ihm eigentlich ganz gut. Die mit dem Heuschnupfen nieste. Oder meinen Sie mit den Ungläubigen die Zeugen Jehovas, die immer von Tür zu Tür gehen? Jadzia versuchte die Situation zu retten, räumte dann aber gleich ein, dass es davon ja wirklich nicht so viele gab. Welche Zeugen Jehovas denn, ich bitte Sie, die Zeugen Jehovas sind nicht das Problem, mit denen werden wir fertig. Wer denn dann, um Himmels willen? Doch wohl nicht die Hare Krishnas? Meine Tochter ist mal zu so einem Treffen im Genossenschaftshaus auf Piaskowa Góra gegangen, da haben die irgendein seltsames Essen gekocht, und man soll kein Fleisch essen, haben die gesagt. Nicht Hare Krishna! Das Problem sind die Muslimisten, sprach der mit dem Schnauzbart und verbiss sich in die nächste Tomate, bis es blutrot triefte. Die mit dem Heuschnupfen nieste. Die Muslimisten? Die Muslimisten, die Deutschen und die Juden, bekräftigte die mit dem hartgekochten Ei, und die Russkis, sagte die, die sich um das Land sorgte, das sie gar nicht besaß, und wollte schon niesen, verkniff es sich dann aber doch. Aber unser Papst redet doch mit ihnen, ob Muslimist, Neger oder sonst wer, fährt hin und redet, streckt allen seine Hand entgegen, Jadzia wurde jetzt böse, richtig böse. Der mit dem Schnauzbart und die mit dem aufgekauften Land sahen sich an, sie spürten, wie sie zu Verbündeten wurden. Oho, da scheiden sich die Geister, sehen Sie, viel zu milde ist unser Papst, viel zu milde, sag ich Ihnen. Fährt zu den Muslimisten, den Juden, den Negern, und hier kaufen sie das Land auf, dabei hat kein Volk so gelitten wie die Polen, das können Sie mir glauben! Sie plündern uns aus, wiederholte die, die gar kein Land hatte; sie nieste. Und die versprüht hier die ganze Zeit ihre Bazillen, sagte Jadzia flammend vor Zorn, quatscht und quatscht über Politik, aber ein Taschentuch können Sie nicht vor die Nase halten, was? Will hier dummes Zeug über den Papst faseln, diese Rotznase, die! Für Jadzia war der Papst die Heiligkeit in Person, und es hatte sie nie interessiert, ob er zu viel oder zu wenig von irgendetwas war; er war, wer er war, sein Lächeln strahlte und beruhigte Jadzia wie ihre Gallenpillen. Dominika hatte mal auf sie eingeredet, Mama, denk doch mal nach, findest du das wirklich gut, in Ländern Kondome zu verbieten, wo die Menschen an Aids sterben? Meinst du nicht, es ist wichtiger, hungernde Kinder mit Essen zu versorgen als den Leuten unter die Bettdecke zu spähen? Pfui, hatte sie zu ihrer Tochter gesagt, willst du wohl aufhören, was hat denn unser Papst damit zu tun? Hast dir da im Ausland irgendwelchen Blödsinn angelesen und politisierst jetzt hier rum; Dominika hatte abgewinkt, denn Jadzia wollte nicht über Konzile und Enzykliken sprechen, sondern nur mit einem Lächeln auf das fe ine Lächeln des polnischen Papstes antworten, von dem sie ein Bild im Portemonnaie mit sich trug, ein zweites in einem Rahmen auf der Schrankwand zwischen Dominika und ihrer Mutter Zofia stehen und ein drittes an die Innenwand des Küchenschranks geklebt hatte, so dass Johannes Paul II . immer dann erschien, wenn sie nach Mehl oder einer Büchse Dosenfleisch griff. Jadzia Chmura fand die Vorliebe ihres Papstes für Cremeschnitten viel wichtiger als irgendwelche politischen Anschauungen, und wenn sie selbst eine Cremeschnitte aß, verspürte sie eine Süße, die sich mit solcher Sanftheit in ihr ausbreitete, als wäre auch sie des Lebens dieser hellen, schönen Gestalt teilhaftig. Diese Leute, unter die sie gegangen war, ärgerten sie mit ihren Meinungen viel mehr als Dominika, denn sie war nicht auf Pilgerfahrt,
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