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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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so ein fuchsisches Schleichen im Zigeunerhut ist das sicherste Zeichen für ein schlechtes Gewissen. Die Gewissenslage des Mannes, der gut im Futter war und mit Hut, sofern es nicht eine große rothaarige Frau war, blieb ein Geheimnis, denn Ludek Borowic, der Fotograf von Kamieńsk, sagte niemandem, dass er in Wirklichkeit eine mittelgroße Frau gesehen hatte, und zwar ganz aus der Nähe, sie war ja an seine Tür gekommen, um den in einen Kokon aus Lumpen gewickelten Säugling an der Schwelle seines Hauses abzulegen. Wenn Ludeks Frau, die schöne Hawa, die Tür geöffnet hätte, wäre das Mädchen wahrscheinlich im Haus Nummer sieben an der Geraden Straße geblieben, zwischen der Nummer fünf, in der sich die Konditorei von Mateusz Suliga befand, und der Nummer neun, wo Tadeusz Kruk seinen Friseurladen betrieb. Doch der Fotograf wollte keine Kinder, und da man ihn in Kamieńsk wahrscheinlich für einen Sonderling gehalten hätte, wenn er das zugegeben hätte, ließ er durchblicken, dass hinsichtlich Nachkommenschaft bei seiner Frau etwas nicht stimmte. Er benutzte diese feige Ausrede, obwohl er gar kein Feigling war und ihm Tränen in die Augen traten, wenn er seufzend den Namen seiner Frau Hawa erwähnte. Er müsse sie ja sehr lieben, hieß es im Städtchen, wenn er sich nicht von ihr scheiden ließe, obwohl sie unfruchtbar war. Ludek hatte nichts gegen Kinder, ihn faszinierten diese Miniaturmenschlein, die er anlässlich von Taufe, Bar Mitzwa oder Kommunion fotografierte, und sein Wunsch, keine Kinder zu haben, hing mit einem schrecklichen Geheimnis zusammen, mit dem er leben musste und das er mit ins Grab nehmen würde, ohne je ein Sterbenswörtchen davon verraten zu haben.
    Der arme Ludek Borowic, auf dessen Schwelle Grażynka gebracht wurde, besaß nämlich die Gabe, einen plötzlichen Tod vorauszusagen. Er sah ihn nicht auf den Gesichtern der Fotografierten, sondern auf ihren Konterfeis. Die Abbildung eines Menschen, der plötzlich und nicht an einer Krankheit sterben sollte, erschien auf der von Ludek aufgenommenen Fotografie verwischt, wie zitternd, das Gesicht war unscharf und verblasst. Sein Vater, bei dem Ludek in die Lehre gegangen war, schimpfte mit ihm, er habe eine Hand für den Spaten, aber nicht für eine so erhabene Kunst wie das Aufnehmen von Bildern. Ich frage mich, sieht so Marek Słowik aus?, donnerte er seinen Sohn an. Ich frage mich – hat Marek Słowik eine so bleiche Visage und Augen wie ein Totenschädel? Das ist ein Dybbuk, aber kein Słowik! Der alte Borowic starb, bevor der Zusammenhang zwischen der belichteten Aufnahme und einem tödlichen Unglücksfall des Abgelichteten zutage trat. Ludeks Vater war gerade zur Post unterwegs, einen Brief an den Vetter in Grodno in der Hand, als er auf der Bank vor der Kamieńsker Kirche den Tod sah; er saß da und stocherte in einer Sonnenblume herum, die so groß war wie ein Mühlrad. Es bestand kein Zweifel daran, dass das der Tod war, deshalb zeigte der alte Borowic nur auf den Brief, den würde er gerne wenn möglich noch abschicken. Der Tod zuckte mit den Schultern, bitte sehr, solle er ihn nur aufgeben, so eilig hatte der Tod es nicht. Ludeks Vater starb, ohne seinen Traum einer Reise nach Grodno wahrmachen zu können, dort lebten etliche Cousinen und Vettern von ihm, und einer von ihnen hieß auch Ludek, wie er und sein Sohn, und war ebenfalls Fotograf. Ich wüsste doch zu gern, seufzte Ludek und Vater von Ludek, ob jener Ludek in Grodno genauso ist wie ich, oder anders? Doch er kam nicht dazu, seine Neugier zu befriedigen, denn der Tod spuckte den letzten Sonnenblumenkern aus, der gestreift war wie ein Kartoffelkäfer, ging auf Ludek senior zu und nahm ihn am Arm.
    Der erste Tod, den der damals zwölfjährige Ludek Borowic vorhersagte, betraf Marek Słowik, den Viehzüchter aus Kleszczowa, den er aus Anlass seines Erfolgs bei der jährlichen Viehschau unter Aufsicht seines Vaters fotografierte. Marek Słowiks Milchkuh belegte den ersten Platz und erschien auf der Fotografie, wie es sich gehört, so scharf und glänzend, dass man sie gleich anfassen wollte, doch ihr Besitzer, der in stolzer steifer Pose neben ihr stand, sah aus, als habe man ihn in Bleichmittel getaucht. Ludek bekam eins hinter die Ohren, dass er weinte, und sein Vater fluchte beim Retuschieren der Aufnahme, dass nur ein Tölpel wie sein Sohn es fertigbringen konnte, die Hälfte von einem Foto zu versauen, wenn das ganze Bild im Eimer wäre, könnte man es ja noch irgendwie

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