Wolkenfern (German Edition)
Eindruck machte, als müsse er sich erst wieder in Erinnerung rufen, wer zum Teufel diese beiden Mädchen sind; sie freuten sich mit lautem Och und Ach über die Pullover, Schals und Pulswärmer, die Josephine Mopsiński für sie zurechttrikotierte, sie hüteten den kleinen Napi. Sie waren sanft, anspruchslos und still, hatten beide dunkelblonde Zöpfe und graue Augen und eine Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen, doch während Aniela, die rasch und pfiffig war, unentwegt plapperte, die Worte aneinanderhängte, verschwenderisch Adjektive brauchte und vor Eile die Vokale verschluckte, überlegte Róża vor jedem Wort und seufzte, als sei das Aussprechen des Wortes mit Kosten verbunden. Diese Verschiedenheit bei all der Ähnlichkeit der beiden wirkte irgendwie falsch, und es gab Leute in Kamieńsk, die argwöhnten, dass sie gar keine Schwestern, ja nicht einmal Cousinen waren. Trotz des ganz normalen Aussehens von Róża und Aniela, das weder abstieß noch entzückte, sorgte ein kleines, kaum zu benennendes Detail dafür, dass sie nie so ganz dazugehörig wirkten. In der Hierarchie des Hauses nahmen die beiden, ob Schwestern oder nicht, eine unbestimmte Stellung ein, ein wenig unter der für Napi eingestellten Gouvernante aus Piotrków Trybunalski, die Grundlagen des Französischen beherrschte, doch eindeutig über Marianna Gwóźdź, dem Dienstmädchen aus Kleszczowa, weshalb die weniger privilegierten Konkurrenten sie für zu hochgestellt hielten, die Höhergestellten sie wiederum für unter ihrer Würde erachteten. Als sie die dreißig überschritten hatten, schrieb man sie ab als zu alt für die Verehelichung, und eigentlich gaben sie auch nie zu Gerüchten oder romantischen Spekulationen Anlass. Róża und Aniela zogen es vor, die Zeit miteinander zu verbringen, anstatt sich mit Männern zu treffen, und selbst als die Brüder Soplicow aus Gorzkowice sie nach Radomsko ins Kino einluden, wovon manches Fräulein im heiratsfähigen Alter träumte, schienen die beiden vor allem aneinander interessiert. Im Kamieńsker Herrenhaus, in dem es an Durchzug und ungenutzten Zimmern nicht mangelte, beschäftigten sich die beiden Schwestern oder Nichtschwestern mit dem Malen von Aquarellen und dem Trocknen von Kräutern und Blumen für Potpourris und setzten mit Kunstfertigkeit heilende Tinkturen und Mixturen an. Überall hinterließen sie einen Geruch von Kräutern und Apotheke, der an etwas erinnerte, das zu lange im Schrank gelegen hatte, zwar nicht richtig verdorben war, aber seine Frische verloren hatte. Ihre blassen und verschwommenen Bilder stellten immer auf dem Tisch angeordnete Stillleben dar oder das Meer, beide träumten davon, an die Ostsee zu fahren, was sie auch bei jeder Gelegenheit erwähnten. Róża und Aniela Rozpuch schenkten mit Anmut Tee ein, kleideten sich ältlich und ernst, und sie servierten frische Kekse und Früchte, die auf eine elegant wirkende Art und Weise auf Weinblättern arrangiert waren. Wenn sich die Gäste nach dem Besuch verabschiedeten, erhielten sie Gastgeschenke in Gestalt von Gläsern mit Sauerkohl, eingelegten Gurken oder Konfitüren und wurden angehalten, doch recht bald, vielleicht schon am nächsten Donnerstag, wieder zum Teestündchen zu kommen. Sie verstanden es, leichte, unverbindliche Gespräche zu führen, in denen sie sich genau auf die Fragen beschränkten, auf die der Gesprächspartner gerne antworten wollte – Fragen nach dem Garten, dem Alter, den Kindern, einem Kleid oder Magengeschwüren, und die gedämpften Ausrufe der Begeisterung und Verwunderung, die Róża und Aniela von sich gaben, waren gerade richtig dosiert und voller Mitgefühl. Sie empfingen den Pfarrer, den Doktor, den Kolonialwarenhändler, den Postdirektor und die Apothekergattin zum Tee, stets mit einer sanften Freundlichkeit, um die zerstreute und ewig trikotierende Dame des Hauses zu entlasten. Als Antoni Mopsiński alle Hoffnung auf eine Verheiratung von Róża und Aniela abgeschrieben hatte, zogen die beiden ohne Murren in die Napoleonhütte um und setzten dort ihre Teezeremonien bei hausgemachten Konfitüren und Keksen fort, als hätten sie gar nicht gemerkt, dass ihr Lebensstandard vom Herrenhaus auf eine strohgedeckte Kate gesunken war. Sie bereiteten Eingemachtes zu, und in ihrer Speisekammer standen immer drei Fässer mit Saurem. Zum Sauerkraut gaben sie je nach Laune mal einen ganzen Apfel, mal Paprika und Kümmel, und wer auch ihr Saures probierte, jeder sagte, es schmecke anders als
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