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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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verstehen, aber so was – die eine Hälfte wie gemalt, die andere Hälfte versaut. Eine Woche später kam Marek Słowik unter den Rädern des Zugs nach Wien zu Tode, als er betrunken den Bahndamm überqueren wollte, während die Kuh bei bester Gesundheit blieb und im Jahr darauf bei der Viehschau wieder eine Medaille gewann. Ludek könnte sich doch einen anderen Beruf aussuchen, raunte ihm gelegentlich die Stimme der Vernunft zu, doch eine innere Überzeugung, die stärker war als die Vernunft, sagte ihm dann, dass das Schicksal uns erwählt und man nicht auf Biegen und Brechen verstehen müsse, warum etwas so ist und nicht anders; nehmen wir zum Beispiel sein Volk, das Gott auserwählt hat; jetzt weiß er eindeutig nicht mehr, warum er das getan hat, doch jetzt ist es zu spät, um alles abzublasen. Mein Gott, seufzte Ludek dann, und jede entwickelte Aufnahme ließ sein Herz rasen wie der Zug, der Marek Słowik, den Viehzüchter aus Kleszczowa, überrollte, denn wenn der Tod einmal auf einem Abzug erschien, dann gab es kein Zurück mehr. Der Tod auf Ludek Borowics Fotografien konnte ganz jung sein, kaum Federchen haben, dann brauchte er drei bis vier Jahre, um heranzureifen, doch wenn er ganz ausgewachsen war, fertig und glänzend wie der Zuckerguss auf Mateusz Suligas Osterkuchen, dann machte er sich im Laufe des nächsten Monats ans Werk. Władysława Przetak, die anlässlich ihrer Vermählung mit Wojciech Przetak fotografiert wurde, stürzte so unglücklich von der Leiter, dass sie nicht mehr aufstand; den Tierarzt Ludwik Poznański, der zum freudigen Ereignis der Geburt eines Sohnes ein Foto machen ließ, trat ein Pferd vor den Kopf, und die kleine Ada Witz fiel, von ihrem fernen grünlichen Spiegelbild gelockt, in einen alten Brunnen und wurde erst nach zwei Wochen der Suche herausgefischt, und auch das nur deshalb, weil die Brunnenverkleidung nachts hellgrün zu leuchten begann, nachdem sich ganze Schwaden von Johanniskäferchen darauf niedergelassen hatten. Ludek hatte es in der Kunst der Retusche zur Perfektion gebracht, und diejenigen, die der Tod auf den Fotografien schon angefallen hatte, ahnten nichts, wenn sie ihr Abbild neben einer griechischen Säule oder vor einer Meereskulisse nach Hause trugen. Ludek fand sich allmählich damit ab, dass seine nebenbei eingestreuten Warnungen – pass am Wasser auf, Maciej! – überhaupt nicht fruchteten, denn der Tod findet jeden, den er gezeichnet hat. Das Schlimmste aber stand noch bevor, und da beschloss Ludek, der die schöne Hawa gerade erst geheiratet hatte, dass er keine Kinder haben würde.
    Anfangs glaubte Ludek Borowic, der Fotograf in Kamieńsk, nicht, was er sah, denn auf dem Hochzeitsbild der älteren Schwester von Ada Witz, Aniela, trugen sämtliche zweiunddreißig Gäste sowie das Brautpaar den weißen Schatten des Todes. Wie Raureif überzog der Tod Ida und Mosche Lipschitz, Raureif breitete sich auch über ihre neugeborene Tochter, über das junge Paar Dalia und Eli mit ihren Zwillingstöchtern, über Golda und Herschel Kac, Besitzer der Eisenwarenhandlung, und ihre Kinder mit Ausnahme des Sohnes Icek, der auf dem Foto nicht anwesend war, über den Sohn des Uhrmachers Feliks, Janek, der sich in der Studentenkappe hatte ablichten lassen, damit sich der stolze Vater vor den Kunden mit seinem Sohn brüsten konnte, der in Łódź Student war; wie Zellophan umhüllte der Tod den Schächter Morka und seine Frau, die rote Salomea, der Tod hatte Ludeks Onkel, auch ein Ludek, berührt, den Metzger Kowalski mit seinem gewaltigen Bauch, und auch die Schwester des Metzgers, die alte Jungfer Wala, die Freundinnen Ajla und Bajla und acht der zwölf jüdischen und polnischen Schüler auf einem Schulausflug am Fluss Fryszerka; der Tod umgab die Näherin Adi, die mit geheimnisvollem Lächeln neben einer Säule posierte, denn das Foto sollte nach Amerika geschickt werden, wohin Adi auch bald zu reisen gedachte, um mit ihrem Verlobten vereint zu werden. Ludek retuschierte und weinte um die rosagetönten Lippen Adis, die schon tot waren und sich nie staunend beim Anblick der Freiheitsstatue öffnen würden; er weinte über den toten Bauch des Metzgers und die Brüste Salomeas, er weinte über Aurelia Borowiecka und ihren kastanienbraunen Dutt. Er weinte auch an dem Tag, als Hawa ihn bat: Ludek, mach ein Foto von mir in diesem schönen neuen Kleid, denn neben ihrer Gestalt schimmerte das untrügliche Zeichen des Todes, der gerade erst heranreifte, aber ebenso

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