Wolkenfern (German Edition)
sicher war wie der so vieler anderer Bewohner von Kamieńsk, Kleszczowa und Gorzkowice, die er fotografierte. Ludek brauchte nicht mehr zu bedauern, dass er sich selbst nicht fotografieren konnte, um zu wissen, was ihn erwartete, denn er wusste, dass ohne seine Frau von einem Leben nicht die Rede sein konnte. Und aus ebendiesem Grund konnte Ludek Borowic, der Fotograf von Kamieńsk, das Kind nicht behalten, das vor seine Tür gelegt worden war.
Er beugte sich hinab und sah Augen, die ihn seltsam erwachsen anschauten und in ihrem Ernst gar nicht zu dem Körperchen passten, das er unbeholfen auf den Arm nahm. Er wusste sofort, dass es ein Mädchen war. Ludek schaute sich um, die Gerade Straße war leer und grau, an ihrem Ende zeichnete sich der Umriss der Kirche ab. Er hatte nicht viel Zeit zum Überlegen, und das Herz klopfte ihm bis zum Hals, als er rannte, um das Päckchen auf den Stufen des Pfarrhauses abzulegen. Den Pfarrer Venantius Pielasa hatte er erst kürzlich fotografiert, er war gesund, kräftig und scharf umrissen auf dem Foto zu sehen; außerdem wusste er, dass er ihm trauen konnte, sie hatten, über Gott diskutierend, zusammen manche Flasche mit Kräuterlikör der Teetanten geleert. Hinter der Ecke des nächsten Hauses verborgen, kaute Ludek Borowic an seinen von Chemikalien zersetzten Fingernägeln und wartete darauf, dass die neue Pfarrhaushälterin auftauchte. In Kamieńsk kannten die Leute die Gewohnheiten eines jeden, und Marianna Gwóźdź war bekannt dafür, dass sie noch vor Tagesanbruch am Pfarrhaus eintraf. Man scherzte, dass sie für die Haushälterin eines Pfarrers zu jung war, doch die Abwesenheit körperlicher Reize bewahrte sie vor Verdächtigungen; sie war als das hässlichste Mädchen der Gegend abgestempelt, doch der Mensch gewöhnt sich an Schlimmeres. Marianna Gwóźdź verspätete sich um fünf Minuten, was Ludek an den Rand eines Herzanfalls brachte, schweißgebadet überlegte er hin und her, ob er die Kleine doch zu einem anderen Haus bringen oder noch etwas abwarten sollte, und während langsam eine dritte, seiner ursprünglichen Entscheidung ganz entgegengesetzte Möglichkeit in seinem Kopf Gestalt anzunehmen begann, tauchte die Haushälterin aus einer Seitenstraße auf. Ludek sah, wie Marianna Gwóźdź den Kokon aufhob und hineinschaute, als hätte sie den Deckel einer eisernen Bratpfanne gehoben, um zu prüfen, ob das mit Grütze und Leber gefüllte Hühnchen geriet. Er sah, wie sie sich umschaute und mit einer Geschwindigkeit, die er ihrem fülligen Körper nie zugetraut hätte, mit dem Kind in den Armen die Gerade Straße hinunterlief. Ludek wartete einen Augenblick, bis er sich aus dem Schatten löste, um Marianna Gwóźdź, der Haushälterin des Pfarrers Venantius Pielasa, hinterherzuspurten. So liefen sie durch das schlafende Städtchen, erst die Gerade Straße entlang, dann die Quere Straße und die Kurze Straße hinab, an den Fenstern vorbei, hinter denen die Leute gerade ihre letzten Träume zu Ende träumten, bis vor den Augen von Ludek Borowic der Fluss Kamionka auftauchte, in den gerade der erste Sonnenstrahl wie ein Messer fuhr, und im Kopf des Fotografen keimte plötzlich ein schrecklicher Verdacht. Erschreckt von der plötzlichen Helligkeit, die aus dem Dickicht junger Kletten am Flussufer stieg, hielt die Haushälterin inne und bog auf den Pfad zu dem einzigen Haus ab, das in dieser Gegend stand. Ludek, der ihr, vom Frühlingsgrün verdeckt, auflauerte, konnte sehen, wie sie das Bündel auf der Schwelle der Napoleonhütte ablegte; sie stürzte dann so dicht an ihm vorbei, dass der Schwung ihrer Hüften ihn fast zu Boden gestreckt hätte. Bevor er sich über die nur Anglern und Schwimmern bekannten Pfade an der Kamionka selbst nach Hause aufmachte, sah er noch vom Zaun des mit weißen Narzissen übersäten Gartens aus, wie sich die Tür der Napoleonhütte auftat, und er hörte eine der Teetanten ausrufen: »Ach du heilige Muttergottes!« Ludek Borowic hoffte, dass wenn nicht ein gutes Herz, dann doch wenigstens das helle Tageslicht die Bewohnerinnen des Hauses davon abhalten würden, das Kind woanders loszuwerden, und er hätte erleichtert aufgeatmet, wenn er gesehen hätte, wie die eine Teetante das Bündel behutsam auf dem Sofa ablegte, auf dessen Armlehnen gerade die Nudelstreifen für die Sonntagssuppe trockneten, während die andere in einer Geste von Schrecken und Verzückung zugleich die Hände zum Gesicht hob.
Von da an wartete der Fotograf Ludek
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