Wolkenfern (German Edition)
hätte er eine brennende Kerze gesehen und zwei in ein Flüstergespräch vertiefte, zueinander geneigte Köpfe in frisurschonenden Haarnetzen. Am Morgen waren die Teetanten ruhig und blass, sie setzten Wasser auf, brauten den georgischen Tee auf, seufzten, vor dem Krieg, ja, da hatte man Tee, aber jetzt verkauften sie ja nur noch irgendwelchen Schludder und Abfall. Sie tranken je drei Tassen und gingen zur Geraden Straße, um den Friseur Tadeusz Kruk auf ein ernstes Gespräch zu bitten. Als sie durch Kamieńsk gingen, knirschte es unter ihren Schuhen wie Vogelknöchlein, denn der erste Frost hatte die vom Novemberregen hinterlassenen Pfützen mit einer Schicht Eis überzogen.
II
Eins, zwei, zwei Gesichter beugen sich über Dominika, und beide kommen ihr bekannt vor, so wie uns manchmal ein Anblick bekannt vorkommt, der uns zum wiederholten Mal im Traum erscheint. Sie atmet ein und nimmt einen Geruch wahr, an den sie sich erinnert und von dem sie weiß, dass sie ihn nicht gekannt hat, bevor sie in ihren Schlaf versank, einen süßlich bitteren, holzigen Geruch, ein wenig dem Duft der Speisen ähnlich, die sie einmal im Genossenschaftshaus auf Piaskowa Góra gekostet hatte, als eine Gruppe von Hare Krishnas dorthin eingeladen hatte. Eins, zwei, zwischen den Gesichtern das weiße Rechteck des Fensters, der Wind bläht die weiße Gardine; Musselin, ein Musselinkleid, denkt Dominika und streckt die Hand zum Licht hin aus. Graublauer Himmel, Wolken, Pappellaub, Wind, Vögel, eins, zwei, drei, ein ganzer Schwarm von Vögeln, das hat sie irgendwann schon einmal gesehen. Das eine Gesicht, das sich über Dominika beugt, ist lang, schmal und dunkel mit gelblichen Augen und hohen Wangenknochen; es lächelt und enthüllt dabei sehr weiße Zähne; das zweite Gesicht ist weiß wie Teig, es weint schwarze Tränen, der Mund trägt die Spuren von Lippenstift und bewegt sich wie bei einem Karpfen. Dominika schaut von einem Gesicht zum anderen und sieht, dass beide Gesichter von gelbem Haar umrahmt sind, sie lächelt, als begreife sie den Sinn der gerade entdeckten Ähnlichkeit, und sagt: Mama? Mein Kind! Du bist wach! Endlich! Jadzia Chmura fühlt sich, als hätte sie dieses große, eckige Kind ein zweites Mal zur Welt gebracht: Zuerst sieht sie das Köpfchen mit einem Dickicht von Haaren wie bei Wilden, dann das Gesicht, über dessen Wange sich eine rote Narbe zieht, die Augen, die sich immer weiter öffnen, der Mund, der den ersten irdischen Atem schöpft, der wieder sagt: Mama. In dem Moment, in dem die beiden Ärzte hereinstürmen, die sofort alarmiert worden sind, bildet der Mund des neugeborenen Kindes der Jadzia Chmura die erste Tochterfrage: Wo bin ich, Mama? Die Mutter, wieder mit der Tochter beschenkt, an deren Bett sie so viele Wochen mit Reden und Weinen verbracht hat und damit, das Lied von der Zigeunerin zu singen, die überströmt war mit Blut, sie fühlt, dass die Geburt jetzt vollendet ist. Sie lässt nicht zu, dass das Kind jetzt in einen anderen Raum gebracht wird, o nein, sie weiß Bescheid, sie hat jede Menge Illustrierte gelesen, sie ist nicht mehr so dumm wie damals, als sie aus Zalesie nach Wałbrzych gekommen war und die Bahnhofstreppe hinunter direkt in Stefans Arme fiel. Ein Kind muss man der Mutter auf den Bauch legen, sie muss es in die Arme nehmen. Jadzia streckt die Arme aus: Das Kind ist da, und es braucht sie.
Als Jadzia am zweiten Tag nach Dominikas Erwachen frühmorgens ins Krankenhaus geht, glänzen ihre frisch gewaschenen und lackierten Haare wie ein Osterlamm aus Zuckerfondant, und die mit Grażynkas neuem Lippenstift geschminkten Lippen sind bereit, der Tochter erschöpfende Antwort auf die Frage zu geben, wo sie sich befindet, und sie formen sich bereits um die ersten mütterlichen Worte, die beizeiten für diesen lang erwarteten Moment bereitgelegt worden sind. Die Ärzte, deren Worte Grażynka für sie ins Polnische übersetzt, raten Jadzia, weiterhin viel mit ihrer Tochter zu sprechen, den Unfall nicht zu erwähnen, von der unmittelbaren Zukunft zu reden. O ja, sie wird reden, da können sie ganz beruhigt sein, denn mit Dominikas Erwachen ist auch die Zukunft zurückgekehrt, die heute so schön wie noch nie erscheint. Man muss ihr nichts erklären, die Mutter weiß am besten, was das Kind braucht, das heute wiedergeboren wurde, der Mensch lernt aus Fehlern. Also keine Vergangenheit! Jadzia hätte nichts dagegen, wenn Dominika die Vergangenheit überhaupt vergäße, ritsch, ratsch, und weg
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