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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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wär sie, sie würden ganz von vorne anfangen, das wäre einfach wunderbar. Wie nach einem Großputz mit Teppichreinigung und einer gründlichen Desinfektion des Badezimmers, wenn die Welt so frisch und sauber riecht und Bakterien und schlechte Erinnerungen wie fortgeblasen sind. Was zählt, ist die Zukunft! Erst eben hatten sie im deutschen Fernsehen den neuen polnischen Premier gezeigt, und Grażynka übersetzte ihr die wichtigsten Worte des Auftritts: ein dicker Strich. Was für ein kluger Mensch! Jadzia Chmura klatschte fest in die Hände, er hatte recht! So setzt sich Jadzia ans Bett ihrer Tochter, die an ihr hinauf- und hinabschaut. Mama?, fragt sie immer wieder, als übte sie dieses erste Wort nach dem Erwachen, Mama? Manchmal bringt sie es heraus, manchmal lässt sich nur eine Art Mäuserascheln aus ihrem Mund vernehmen, ein unangenehmes Knirschen, ihr tut der ganze Körper weh, sie möchte sich baden, im Wasser untertauchen, diesen Geruch nach verbranntem Fleisch abwaschen, den sie im Schlaf in der Nase gehabt hat. Sie riecht ihn auch jetzt noch, sie hat Angst, dass ihr Körper diesen Geruch ausströmt, dass er ihre Mutter einhüllen wird. Mama? Dominika wird nie wieder »Mama« ohne dieses kleine Fragezeichen aussprechen, als könnte es irgendwelche Zweifel an der Beziehung zwischen ihr und Jadzia geben. Jadzia hat keine Zweifel, sie hat ihre Tochter mit ihrem Singen aus der Dunkelheit geholt. Mein Kind! Wie hab ich gebetet, dass du aufwachst, was hab ich von dieser Zigeunerin gesungen! Dominikas Gesicht ist mager und blass geworden, und auf diese Narbe, denkt Jadzia, auf diese Narbe kann man bestimmt eine Creme schmieren, oder man kann sie pudern, dann sieht man nichts mehr davon. Vielleicht haben sie hier eine Narbencreme, die besser ist als das Zeug, das es in Polen gibt. Sie wird Grażynka mal fragen. In der BeErDe müssen sie so eine Creme haben, hier gibt es alles, Grażynka braucht nur mal in den Kühlschrank zu gucken oder in die Speisekammer. Alles gibt es, man muss aufpassen, dass man nicht zu viel isst, und die Klamotten sind unters Bett gestopft, mit den Preisschildchen noch dran, besonders ordentlich ist diese Grażynka nicht, das kann man nicht behaupten. Ein bisschen eine Schlampe ist sie, aber sie hat ein gutes Herz. Dominika spürt den Blick ihrer Mutter und berührt mit der Hand die Wange. Ich hab einen Unfall gehabt, sagt sie, es hat gebrannt, das Auto, einer hat geschrien, da war ein schrecklicher Geruch. Was war danach, Mama?
    Arme Jadzia, sie kann nicht von der Zukunft sprechen und dabei umgehen, was war, dabei will sie so gern ihrer Tochter von dem Plan erzählen, den sie in diesen Wochen der Krankenwache ersonnen hat: Sie werden beide nach Piaskowa Góra zurückkehren, und Dominika wird Medizin studieren, danach findet sie Arbeit in einer Privatpraxis, was soll man zum Studieren in eine andere Stadt fahren, wenn man in Wałbrzych alles vor der Nase hat, danach wird man weitersehen. Sie hat im Abitur und bei den Aufnahmeprüfungen fürs Studium gut abgeschnitten, für ein Zweijahresstudium wird sie bestimmt genommen. Zahntechnik soll sie ein bisschen lernen, da kann man Geld mit machen, und an Arbeit wird es nie fehlen, denn in diesem Kommunismus, da sind den Leuten die Zähne ja reihenweise ausgefallen, und in der Demokratie, da werden sie ihnen auch ausfallen, dem armen Mann steht der Wind immer ins Gesicht. Jadzia selbst wird bald die dritten Zähne brauchen, und sie weiß, wie viel das kostet, wenn man es privat machen lässt. Ein Vermögen! Dominika soll sich erholen, was auf die Rippen kriegen, sich die Haare wachsen lassen, und diesen Kratzer auf der Wange, den kann man auch so wegtuschieren, das hat diese Trojanowska auch, die in Sopot gesungen hat. Ein schreckliches Geheul, das die von sich gibt, Jadzia hat ja kein Verständnis für eine solche Musik, aber die Frisur, die gefällt ihr. Wer weiß, vielleicht findet Dominika mit ihrer zukünftigen Trojanowska-Frisur ja eine Stelle in einer Praxis, deren Besitzer ein lediger Zahnarzt ist? Du kannst dir die Haare ja wie die Trojanowska machen lassen, vielleicht kann die Iwona dich in ihrem Friseurladen auf Piaskowa Góra so frisieren, sagt Jadzia zu ihrer Tochter, aber sie hat gleich das Gefühl, dass ihr wundersam gerettetes Kind lieber über etwas anderes sprechen will. Was ist danach passiert?, fragt Dominika, Mama, was war danach? Ich erinnere mich an das Feuer, an weiße Knochen, weiße Treppenstufen. Als ich gefallen bin,

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