Wolkenfern (German Edition)
hab ich es gerochen. Etwas hat sehr schön gerochen, aber ich hab auch dieses verbrannte Fleisch gerochen, ich riech es immer noch. Mama? Heilige Muttergottes! Jadzia ist den Tränen nah. In anderen Familien gehen Häuser, Ländereien, Familiensilber von einer Generation auf die nächste über, und bei ihnen ist es der Geruch nach verbranntem Fleisch. Die Enkelin hat es ganz eindeutig von ihrer Großmutter geerbt: Zofia Maślak, Jadzias Mutter, hat ihn ihr Leben lang gerochen und spritzte dagegen mit einer solchen Hingabe Essig herum, dass sogar in das Weihwasserbecken am Eingang ein paar Tropfen fielen. Sag es mir, Mama! Dominika bleibt hartnäckig. Mama?
Jadzia verzieht die geschminkten Lippen zu einem Hühnerbürzel, sie weiß nicht, wie sie ihrer Tochter jene Tage erzählen soll, als sie selbst, wie sie der Nachbarin Krysia Śledź damals sagte und noch etliche Male sagen wird, um ein Haar den Verstand verloren und den Löffel abgegeben hätte. Sie hätte gerne wie der Premierminister Mazowiecki einen dicken Strich unter die Vergangenheit gezogen, aber daraus wurde nichts. Fast hätte ich den Löffel abgegeben, seufzt sie also, fast, mein Kind, fast wär ich übergeschnappt und hätte den Verstand verloren, da oben in diesem Krähennest. Heilige Muttergottes! Nur das Beten hatte sie vor dem Löffelabgeben, Überschnappen und Verstandverlieren bewahrt, dank dem lieben Gott und der allerheiligsten Muttergottes hatte sie es irgendwie ausgehalten. Was für Mengen Nervensalz ich getrunken hab, bis es mir hochgekommen ist, und wie viele Liter Melissentee! Sag mir, Mama, sag mir, was dann passiert ist! Jadzia kann sich nicht aus der Schlinge ziehen. Es hilft nichts: Sosehr Mutter Chmura auch geradewegs in die leuchtende Zukunft stürmen möchte, in der ihre veränderte Tochter Zahntechnikerin mit einer modernen Frisur à la Trojanowska ist, sie muss zu diesem Tag zurückkehren, an dem Dominika fast gestorben wäre und sie in der Krankenhaustoilette kniete, den Kopf gegen die Wand der Kabine schlug und dem Himmel alles versprach, was sie, Jadzia Chmura, geborene Maślak, Witwe eines Oberbergmanns aus Piaskowa Góra, zu geben vermochte, wenn der Himmel sich nur einem Handel geneigt zeigen würde. Heilige Muttergottes, bis ans Ende ihres Lebens würde Jadzia keine Süßigkeiten mehr anrühren, nicht mal die mit wenig Zucker, die gar nicht schmecken, sie würde auf Pilgerfahrt nach Tschenstochau gehen, auf den Knien, auf dem Bauch robbend, sie würde für die Kirche und arme Kinder in Afrika spenden, obwohl du ja selbst siehst, lieber Herrgott, dass ich kaum etwas sparen kann, um zu spenden, aber aus den Rippen würde sie es sich schneiden, aus dem Mund pressen, aus den Gedärmen wringen und sich zur Ader lassen, wenn nur ihr Kind überleben würde. Jadzia Chmura bot der Muttergottes und dem Herrgott zu gleichen Teilen ihre Gelübde und ihren Kummer an, doch sie erwartete Verschiedenes von diesen beiden heiligen Gestalten. Der Gottesmutter, insbesondere der Schwarzen Madonna von Jasna Góra, vertraute sie die Fürsorge für ihre verletzte Tochter an, wache über sie, flehte Jadzia, lass sie nicht sterben, Mutter Gottes, lass mein einziges Kind am Leben. Dem Herrgott, dem Vater im Himmel, überließ sie die Aufgabe, die Schuldigen zu strafen, genauso wie es die anderen Mütter auf Piaskowa Góra taten, wenn sie zu ihren Herzenskindern sagten: Warte nur, du Rotzlöffel, wenn der Papa von der Arbeit nach Hause kommt, der wird dir schon den Hintern polieren! Herr Gott im Himmel – Jadzia hob die Augen zu der von Feuchtigkeitsflecken überzogenen Decke der Toilettenkabine, in der es nach Desinfektionsmittel stank; Herr Gott im Himmel, die, die dafür die Verantwortung haben, die meiner Tochter das angetan haben, erhöre mich, Herr Gott im Himmel, auch wenn das schon viele gesagt haben, die, die das getan haben, denen sollen die schlimmsten Unglücke widerfahren, sollen ihnen die Zähne im Mund erweichen und ausfallen, sollen ihnen die Kiefer verfaulen, soll Aussatz ihre Leiber bedecken, sollen sie bösartigen Krebs bekommen und tödlichen Eeds, sollen sie mit Deiner göttlichen Hilfe alles Geld verlieren, sollen sie alle Hoffnung verlieren, sollen ihnen die Häuser abbrennen, missgebürtige Kinder geboren werden, die Fernseher explodieren, die Autos auseinanderfallen, und soll ihnen die Erde schwer sein wie ein Stein, Amen.
Zwei Personen waren fast gleichzeitig an Dominikas Unfallstelle angekommen. Während für die eine der
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