Wolkenfern (German Edition)
von sich gestreckt, nur mit Schlüpfer und Schuhen bekleidet, die linke Hand um etwas gekrallt. Sie lebt. Atmet. Sie darf nicht bewegt werden, das Rückgrat, vielleicht ist ihr Rückgrat verletzt!, schrie Małgosia.
Der Pastor Postronek, sagt Jadzia, das ist so ein guter Mensch, Kind, ein wahrer Schatz. Er hat dich gefunden, er hat mich und Oma Halina informiert, mit allem hat er geholfen, hat uns aus dem Pfarrhaus in die BeErDe anrufen lassen, dabei kostet das ja ein Vermögen, ins Ausland. Ich bin ja fast übergeschnappt, wie sie mir dich im Krankenhaus gezeigt haben, durch die Glasscheibe, rein durfte ich nicht, wohl damit man keine Bakterien reinträgt, und durch die Scheibe hab ich dich angeguckt wie damals, als du grad geboren warst. Ganz bandagiert bist du gewesen, die Beine, der Kopf, das halbe Gesicht im Verband, in jedem Arm eine Kanüle, in beiden Händen steckte eine Nadel, dick wie ein Nagel. Und Grażynka mit ihrem deutschen Bubi, die waren zwei Tage lang in Wałbrzych und haben alles erledigt, Papiere, Transport, alles auf ihre Kosten. Die hat vielleicht Glück gehabt, dass sie an diesen deutschen Bubi geraten ist, der denkt wie ein Mensch, Kind. Manches Mädchen ist so auf Anstand bedacht, ist ordentlich und fein und findet keinen, und eine andere hat so ein Glück, auch wenn sie nicht mehr in der Blüte der Jugend ist und mit unehelichen Kindern dazu. Aber sie hat ein gutes Herz, da kann man nichts sagen, allerdings, so unter uns gesagt, besonders sauber ist es bei denen zu Hause nicht, ich hab sogar Schimmel im Becken gefunden, stell dir das mal vor. Ich will ja nicht tratschen, du kennst mich ja, Kind, seufzte Jadzia und wischte sich eine Träne ab. Aber dafür hast du es hier im Krankenhaus so sauber, dass man vom Boden essen kann, so hygienisch. Ich weiß nicht, ob sie dich bei uns wieder heil gekriegt hätten, operieren wollten sie nicht, so einen bestimmten Apparat hätten sie gebraucht, den hatten sie nicht. Aber hier sofort. Klar, nichts geht über privat, und dazu noch hier in der BeErDe, auf den ersten Blick sieht man, dass man hier keine Bakterie findet. Ich hab Grażynka gesagt, dass wir es in Raten abbezahlen werden, das sollte sie ihrem Hans sagen, aber der lacht bloß, nein, nein, wir brauchen nichts zurückzuzahlen. Sie wollten nicht mal sagen, wie viel deine Behandlung sie gekostet hat. Nein, nein, kein Geld, so heißt das hier, Geld, ein paar Wörter hab ich hier schon gelernt, während du geschlafen hast, aber, ich sag dir, das ist keine Menschensprache. Ich weiß, was Geld heißt, und Brot, ja, nein, und auch: Ich heiße Jadzia Chmura, ja, und Mutter, und meine Tochter. Ja, und dass dieser Hans kein Geld will. Obwohl, hinterher müssen wir ihm einen ordentlichen Pralinenkasten schenken, oder ich schick was von zu Hause, von Cepelia, wir gehn zu Cepelia auf Piaskowa Góra und suchen zusammen was aus.
Dominika betrachtet ihre Mutter, ihre nervösen Hände, die Lippen, von denen beim Sprechen nach und nach die Glanzcreme verschwindet, die von Äderchen durchzogenen stachelbeerfarbenen Augen, die ihrem Blick ausweichen, aber wachsam immer in der Nähe bleiben. Alles, was Jadzia sagt, kommt Dominika so leer vor, sie hört der Mutter zu und versteht die Worte, aber sie sind nicht mehr mit Gefühlen verbunden, sie sind wie ausgeblasene Eierschalen, hielte man sie gegen das Licht, es würde hindurchscheinen. Sie kann sich an fast alles erinnern außer an den Unfall selbst, aber aus Jadzias Erzählungen filtert sie die Informationen, um die Lücken zu füllen. Sie weiß, dass außer Pastor Postronek auch Małgosia Lipka an der Unfallstelle war, obwohl Jadzia deren Anteil an Dominikas Rettung so weit wie möglich herunterspielt, aber das durchschaut Dominika auch. Ein liebes Mädchen, aber ich sag dir, sie sollte trotzdem nicht so ganz auf Junge machen; diese Frage plagt Jadzia seit Jahren. Da kann sich doch einer echt vertun. So könnte sie ja zum Beispiel einen Jungen in die Irre führen, oder ein Mädchen, das sie für einen Jungen hielt. Vielleicht sagst du ihr mal vorsichtig was, Kind, so als Freundin, wenn wir wieder in Polen sind, so ganz vorsichtig, ist ja nur zu ihrem Besten. Was schadet es denn, wenn sie mal ein Kleid anzieht? Aber vielleicht ändert sie sich ja, wenn sie jetzt in Warschau studiert? Vielleicht lässt man ihr da so einen Aufzug nicht durchgehen? Das sollten sie auch nicht, sie will ja schließlich mal Ärztin werden. Małgosia ist meine Freundin, denkt Dominika,
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