Wolkenfern (German Edition)
Straße, das Herz schlug ihm in der Brust wie ein Bergmannshammer.
Pastor Postronek wusste schon gar nicht mehr, wohin er es so eilig hatte und warum, als er an der Bushaltestelle mit einem Mädchen zusammenstieß, das er für einen Jungen hielt. Er hatte keine Ahnung, dass ihr von zwei Übeln – mehr standen nicht zur Auswahl – ebendies das liebere war: für einen Jungen gehalten zu werden. Sie war barfuß, hatte einen Ring in der Nase, hellblaues Haar und eine böse Ahnung: Sie müssen mit mir zum Bahnhof fahren, Herr Pastor! Sie rennen zusammen ein Stück weiter, versuchen an der Kreuzung ein Taxi zu kriegen, aber ausgerechnet jetzt ist keins zu sehen, klar, es ist Samstag. Beeilen Sie sich doch bitte, Herr Pastor! Warum denn zum Bahnhof?, fragte Pastor Postronek, doch zur Antwort bekam er nur: Schneller! Es ist wegen Dominika! Von einem Saufbruder, der an der Bushaltestelle Zigarettenkippen aufsammelte, hatte Małgosia in Erfahrung gebracht, dass ein Mädchen mit Rucksack da gewesen war, so eine dünne Bohnenstange, sie hatte da gestanden und den Autobus vorbeifahren lassen, danach war sie in einen Fiat gestiegen, der in Schlangenlinien davongefahren war. Sie liefen also denselben Weg entlang, den gut zehn Minuten vorher der kleine türkise Fiat genommen hatte, und Pastor Postronek konnte sich nicht genug darüber wundern, wie stark das Mädchen war, das ihn am Arm hinter sich her zog. Fürwahr! Ich kann nicht mehr!, jammerte er, aber sie zog und trieb ihn weiter an, als wüsste sie mehr als er über das Ziel ihres Laufs. Schneller! Wir müssen Dominika einholen! An der Kreuzung hatte sich ein Unfall ereignet, drei Autos standen dort, ein paar Männer stritten sich über etwas, in dem Zaun, hinter dem der Kleine See der Spinnennixe lag, klaffte ein Loch, durch das Loch sah man einen roten Feuerschein. Heiliger Herrgott! Dieser türkise Fiat kam aber auch gerast wie verrückt! Die waren betrunken die Mädels, so rast man nicht, wenn man nüchtern ist. Mädels? Wer weiß denn, ob das Mädels waren oder Kerle? Ein Zeuge hatte ein Mädchen am Steuer gesehen, der andere ist sich nicht sicher, es waren mehrere Leute im Auto, vielleicht drei, aber beschwören wird er es nicht. Kaum beschwört man etwas, wird man schon vor Gericht gezogen, und wenn man einmal vor Gericht ist – dann ist man angeschmiert. Aber kann schon sein, dass es eine Frau am Steuer war. Ein Kerl hätte das auch betrunken noch in den Griff gekriegt. Aber der Fiat hat’s nicht gepackt, in den Zaun ist er geknallt, dann in den Haufen Schrott. Und wie der gekracht ist, Herr Pastor, dass die Erde gewackelt hat! Das Benzin ist explodiert, heiß ist das gewesen, dass man nicht in die Nähe gehen konnte. Sie hatten geguckt, ob sich noch was retten ließ, aber – kein Gedanke. Da kommt keiner mehr lebend raus, Herr Pastor. Aber Małgosia rannte auf das Feuer zu, barfuß über die Splitter des zerbrochenen Autofensters, und ihr hinterher Pastor Postronek, der begriff, dass ihn keine Furcht, sondern Zorn geplagt hatte, derselbe Zorn, den er vor Jahren einmal empfunden und dann aber so in sich erstickt hatte, dass er ihn ohne weiteres für Verdauungsbeschwerden halten, mit Pfefferminztee lindern konnte.
Das Autowrack stand in Flammen, im Kleinen See spiegelte sich der Feuerschein, im Feuer das schwarze Skelett des Autos und Schreckliches, Unidentifizierbares, was Körper sein konnten, aber nicht mussten: einer hinter dem Steuer, einer daneben, einer auf dem Rücksitz. Verstehen Sie, Herr Pfarrer, sie muss leben, das war keine Frage, das Mädchen, das einem Jungen so täuschend ähnlich sah, schaute ihn an, und in ihren Pupillen brannten kleine 126er Fiats. Das Feuer versengte Wimpern und Haare, brachte die Haut zum Glühen, der Geruch war entsetzlich, gleichzeitig fremd und vertraut, der Geruch nach etwas, das einst lebendig oder nützlich gewesen war und jetzt verbranntes Fleisch, geschmolzenes Plastik, verkohlte Knochen. Das einem Jungen zum Verwechseln ähnliche Mädchen schrie: Dominika! und riss das Unkraut auseinander, zerrte an den Schrottresten, zeigte, wo man suchen sollte, watete im Wasser, auf dessen Oberfläche kleine brennende Teilchen schwammen. Was ist das für ein Wasser, das brennt?, dachte Pastor Postronek und betete, in dieser Hölle möge es noch etwas zu bergen geben.
Man hätte sie für ein Stück Holz halten können, für einen Haufen Lumpen. Sie lag halb im Wasser, mit dem Gesicht im öligen Schlamm des Tümpels, die Arme
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