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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler
Autoren: Anett Leunig
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du glaubst, ich tue das alles zum Spaß oder aus Trotz, um dich ein bisschen zu ärgern. Aber das ist nicht wahr. Mir ist wichtig, was du denkst, sonst wäre ich jetzt nicht hier. Das von heute Mittag kann nicht dein Ernst gewesen sein. Wahrscheinlich war ich ein bisschen zu schnell und auch ziemlich grob. Es tut mir leid.“ Damit beugte ich verbal den Nacken vor ihm, streckte meinen Degen, hielt ihn aber immer noch fest.
    Vater entgegnete nichts, lehnte sich lediglich in seinem Ledersessel zurück, aus dem Schein der Schreibtischlampe heraus, stützte einen Ellenbogen auf der Armlehne des Stuhls ab, legte das Kinn in die Hand und einen Finger über seine Lippen. Ein eindeutiges Signal: ‚Rede, ich höre dir zu und werde dich nicht unterbrechen. Aber ich werde dazu auch nichts sagen – vorerst nicht.’
    Hmm, okay, wie jetzt weiter?
    Mein Blick fiel auf die Wand hinter ihm. Dort hing ein Foto, das ihm ein guter Freund einmal geschenkt hatte. Wer und wann das gewesen war, wusste ich nicht mehr. Den Freund gab es nicht mehr, jedenfalls nicht, seit es mich gab. Es zeigte eine Segeljacht, weiß und majestätisch mit stolz geblähten Segeln. Mir kam ein Gedanke.
    „Papa, ich hätte dich wirklich gerne in meinem Boot. Aber nicht als Steuermann, sondern eher als Seitenplanke, die mich schützt, als Notpinne, falls etwas schief geht und mein Steuerrad bricht, und notfalls als Rettungsanker, der mir Halt gibt, wenn ich für eine Weile Ruhe und Sicherheit brauche. So war es doch bisher auch immer.“
    Die Sache mit dem Boot fand ich gut. Vater liebte Segelboote: in den wenigen Mittelmeerurlauben der vergangenen Jahre hatte er immer Stunden in den kleinen Häfen verbracht, und jedes Jahr fuhr er zur Kieler Woche, um die schönsten und schnellsten Jachten der Welt zu bestaunen. Einmal mit so einer Segeljacht um die Welt zu fahren war sein heimlicher Jugendtraum gewesen. Deshalb auch das Foto. Er hatte diesen Traum nie verwirklicht. Die Liebe zu meiner Mutter war dazwischengekommen, dann die Arbeit, dann ich. Hatte sich seine Vorstellung vom Glück auch den Gegebenheiten der Zeit angepasst?
    Er sah mich noch immer unverwandt an, während er leicht mit der Rückenlehne wippte. Das kam ein bisschen arrogant rüber. Sollte es wahrscheinlich auch. Sein Gesicht war für mich unsichtbar im Schatten verborgen, aber ich war schon dankbar dafür, dass er wenigstens die Brille abgenommen hatte. Was ging nur in seinem Kopf vor? Warum konnte ich nicht einfach durch seine Augen hindurch in seine Seele schauen, wie Christoph es bei mir immer tat?
    Plötzlich gab er sich einen Ruck und beugte sich nach vorne. Sein Blick fiel wieder auf die Bierflasche. Er zog sie zu sich heran und drehte sie im Schein der Lampe. Als er das Etikett entziffert hatte, grinste er anerkennend: „Gutes Bier. Wo hast du das her?“
    Ich beschrieb ihm den Laden; im selben Moment wusste ich, dass es eine Fangfrage gewesen war. Er wollte wissen, ob die Idee von Mutter stammte und sie mich hierher gelotst hatte, oder ich von selbst gekommen war. Okay, das konnte er haben. Er stellte die Flasche hin und schaute suchend über den Schreibtisch. Mein nächster Fehler: ich hatte keinen Flaschenöffner dabei! Ich trank eben überhaupt kein Bier.
    Aber er öffnete kurzerhand die unterste Schreibtisch-schublade und holte von dort einen Flaschenöffner hervor. Langsam goss er sich ein Glas ein, vorsichtig, damit die Schaumkrone nicht über den Rand floss. Dann lehnte er sich wieder in seinem Sessel zurück, wartete noch einen Augenblick, bis sich das Bier im Glas gesetzt hatte, und trank dann einen Schluck. Ich hielt den Atem an. Sollte meine Zukunft von dem Genuss eines Bieres abhängen?
    Er setzte das Glas ab und sah mich an: „Gute Wahl!“
    Gott sei Dank! Ich lächelte vorsichtig. Er stand auf und trat an sein Sideboard. Ein zweites Bierglas kam zum Vorschein. Er goss ein und reichte es mir. „Komm, probier mal. Ich weiß, dass du so was eigentlich nicht trinkst, aber heute kannst du mal eine Ausnahme machen.“
    Ich fühlte Stolz in mir aufwallen. Mein Vater schenkte mir ein wie einem Geschäftspartner, von gleich zu gleich. – Abwarten, Jann!
    Er kam hinter dem Schreibtisch hervor und ging auf das kleine Ledersofa zu, das an der anderen Wand stand. Mit seiner freien Hand winkte er mich zu sich herüber. Ich setzte mich mit meinem Bierglas, das ich etwas linkisch hielt, neben ihn. Nicht zu nah, aber auch nicht in die äußerste Ecke. So hatte ich noch nie mit ihm
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