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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler
Autoren: Anett Leunig
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wieder runter.
    Endlich, nach einer kleinen Ewigkeit, glaubte ich, die richtigen Worte in dem Durcheinander in meinem Kopf gefunden zu haben: „Ich würde sagen, wir sind jetzt quitt. Heute Mittag habe ich dir einen vor den Bug gegeben, jetzt du mir. Das mit den E-Mails ist heftig, aber ich stehe zu jedem einzelnen Wort, das du gelesen hast. Christoph ist für mich der Mann fürs Leben, auch wenn dir das vielleicht nicht gefällt. Darüber kann ich nicht diskutieren; nur erzählen, wenn du es hören willst.“ Damit hatte ich eine Grenze gezogen, die er niemals würde übertreten können. Das sollte er auch spüren, heute und für immer!
    „Was meinen Beruf und deine Zukunftspläne für mich angeht, darüber bin ich auch bereit zu reden. Aber ich befürchte, dass wir da nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen können, weil ich mich nicht selbst unglücklich machen will. Ich kann dir nur das bieten, was du mir mitgegeben hast, mit deinen Genen, wie du es selbst gesagt hast. Und das ist nun mal leider nicht die Fähigkeit, Statistiken zu lesen und chemische Formeln zusammenzustellen, sondern mit der Sprache zu spielen, ihre Ausdruckskraft zu erkennen und zu nutzen. Das will ich machen, darin bin ich gut, damit könnte ich dir Bestätigung geben. Wenn du das haben willst.“ Ich nippte wieder an meinem Bierglas. Mittlerweile war ich erstaunlich ruhig. War das der Alkohol? Hoffentlich wurde das bei mir nicht zur Gewohnheit!
    Er sah mich noch immer unverwandt an. Schließlich trank auch er noch einen Schluck und meinte: „Ich hatte schon in deinem Halbjahreszeugnis gesehen, dass du deine Kurse geändert hast. Aber den Grund dafür hatte ich damals nicht erfahren und auch noch nicht erraten können. Ich weiß von deiner Mutter auch, dass du dich schon bei verschiedenen Universitäten über ein Studium informiert hast. Worüber genau, hatte sie mir allerdings nicht erzählt. Und du auch nicht. Wir haben so vieles nicht miteinander besprochen, uns beide in Geheimnisse und Misstrauen gehüllt, statt offen auf den anderen zuzugehen. Aber wie du schon sagtest, wir sind quitt. –  Erzähle mir mehr von deinen Plänen.“
    Ich sah erstaunt auf. Meinte er das im Ernst? Er war tatsächlich auf mein Thema eingeschwenkt, schien sich zu öffnen. Während er die Flasche herüberholte und sich noch einmal eingoss, sammelte ich meine Gedanken, denn ich musste jetzt ganz sachlich und vor allem ruhig bleiben. Die durchgegangenen Pferde durften nicht noch einmal erschreckt werden! Er füllte sich sein Glas nicht ganz, sondern ließ noch einen Schluck in der Flasche. Damit deutete er zu mir herüber: „Hmm?!“
    Ich hielt ihm mein Glas hin. Christoph würde diese Nacht wohl wieder im Gästezimmer schlafen müssen, denn mit einer Bierfahne wollte er mich bestimmt nicht in seinem Bett haben!
    Ich setzte mich bequemer hin, jetzt den Oberkörper meinem Vater zugedreht; ein Bein angewinkelt und unter den Oberschenkel des anderen gesteckt, lehnte ich mich lässig gegen die Rückenlehne. Mein Vater machte es sich auch bequemer: er legte Jackett und Schlips ab und öffnete den obersten Hemdknopf. Da saßen wir also in dem für mich bisher so schrecklichen Arbeitszimmer, in ungezwungener Haltung, beide ein Glas Bier in der Hand, und redeten – von Mann zu Mann, diese Art ‚Vater-Sohn-Gespräch’. Auch bei uns war das also möglich.
    Schließlich hatte ich das Gefühl, die passende Stimmung und die  richtigen Worte für meine Ausführungen gefunden zu haben: „Ich möchte Literaturwissenschaften studieren, dazu Sprachkurse in Englisch und Französisch belegen. Die Ludwig-Maximilians-Universität in München scheint mir dafür sehr geeignet. Da könnte ich sogar bei Tante Melanie wohnen. Auch die Universität in Regensburg käme noch ganz gut hin. Meine Lehrer sagten, ich hätte sehr gute Voraussetzungen für das Studium, Deutsch und Englisch fünfzehn Punkte, Französisch dreizehn, dank Celines Nachhilfestunden. Die Unis sind in Ordnung, ich habe mich da mal umgesehen, wie du schon weißt. Im sechsten Semester könnte ich ein Auslandssemester machen, in Frankreich oder England, an einer der Partneruniversitäten. Das muss ich dann sehen.“ War das erst einmal okay so? Ich war unsicher, wie viel ich ihm schon sagen sollte, ohne ihn zu überfahren.
    Vater betrachtete skeptisch das Muster der Sofalehne, fuhr mit dem Finger eine Stofffalte entlang. Dann blickte er zu mir herüber: „Und was kannst du mit diesem Studium dann
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