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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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irgendwie gut. Es war gut, dass er sich neben mir ausstreckte; gut, dass ich meinen Kopf an seine Schulter legen und meinen Körper an seinen schmiegen konnte; gut, dass er mich mit dem Arm umfasste und ich meine Hand auf seine Brust direkt über sein noch immer stark pochendes Herz legen konnte.
    Wir rochen beide nach Duschgel und uns selbst, und das war auch gut. Es war gut, dass es mir nichts ausmachte, mit einem Mann, noch dazu mit meinem Cousin, in einem Bett zu liegen. Und es war gut, dass es mir gut ging. Kurz bevor ich mit dem Rhythmus seiner tiefen Atemzüge einschlief, spürte ich, wie er mir ganz vorsichtig einen Kuss auf die Stirn gab. Dann war ich weg.
     
    Am nächsten Morgen erwachte ich mit einem wunderbar warmen Gefühl in der Magengegend. Etwas ganz besonders Schönes war gestern passiert, und im Halbschlaf versuchte ich mich daran zu erinnern. Da waren Schatten gewesen, weißes Mondlicht auf schimmerndem, langem Haar, schlanke Finger mit kräftigem Druck und überall Wärme. Christoph. Ich tastete mit geschlossenen Augen neben mich – aber das Bett war leer.
    Mit einem Ruck setzte ich mich auf. Tatsächlich, ich war allein. Suchend sah ich mich im Zimmer um. Alles war, wie ich es am Abend zuvor verlassen hatte: meine Sachen unordentlich auf der Stuhllehne abgelegt, das Buch noch aufgeschlagen auf dem Nachttisch, die Schuhe quer im Zimmer verstreut. Ich schaute auf mein Kissen. Kein zweiter Abdruck – na ja, ich hatte es wie immer im Schlaf zu einem Knäuel zusammengeballt. Auf dem Bettlaken keines seiner langen Haare, auch nicht vor dem Bett. Es war, als wäre er gar nicht hier gewesen, als wäre das alles letzte Nacht nicht passiert! Mir fiel das Taschentuch ein, und schlaftrunken taumelte ich zum Mülleimer – nichts! Also entweder war er penetrant ordnungsliebend oder nur einem meiner wilden Träume entsprungen.
    Noch immer grübelnd zog ich mich an und ging ins Bad. Hier roch es allerdings bereits nach Haarshampoo und Zahnpasta, als hätte sich gerade jemand frisch gemacht. Nach meiner Morgentoilette wankte ich nach unten. Tante Melanie bereitete gerade das Frühstück zu.
    „Guten Morgen!“, flötete sie fröhlich. Doch als sie mein zerknittertes Gesicht bemerkte, fügte sie etwas leiser hinzu: „Oh, ist wohl doch nicht so gut?“
    „Ich weiß nicht recht. Guten Morgen auch. Wo ist Christoph?“ Ein rascher Blick in Küche und Wohnzimmer hatte mir gezeigt, dass er auch nicht hier unten war.
    „Der ist mit dem Fahrrad unterwegs. Wollte noch zum Bäcker, Brötchen holen. Er möchte sonntags immer lieber ganz frische Brötchen. Aber dafür muss er eine Stunde mit dem Fahrrad spurten. Na, soll er mal machen!“ Sie goss Wasser in die Kaffeemaschine.
    „Warum nimmt er nicht das Auto?“, fragte ich und zog linkisch meinen Stuhl zurück. Irgendetwas stimmte heute mit meiner Motorik nicht.
    „Na ja, mit dem Fahrrad kann er sich besser abreagieren, sagt er. Wenn er aufgewühlt ist oder mal einen schweren Tag hatte. Heute schien es eher eine schwere Nacht gewesen zu sein.“ Sie verteilte die Messer.
    Mein Herz setzte einen Schlag aus. Also war es doch geschehen! Hatte sie etwas bemerkt? Wohl kaum, denn ihr Schlafzimmer war im unteren Stockwerk, und wir waren – na ja, nicht besonders laut gewesen. Ich goss mir Milch ein und trank in kleinen Schlucken.
    „Aber dir geht’s heute scheinbar auch nicht besonders?“, fragte sie und blickte mich mitleidig an.
    „Nein, nicht so ... Ich habe ... wohl schlecht geträumt, ich weiß nicht recht.“
    „Ach, das ist die Hitze, die macht uns alle fertig. Wenn du möchtest, kann ich dir – “, sie drehte sich aufhorchend um, als hätte sie ein Geräusch gehört, „Ach, da ist er ja.“
    Mein Blick flog zur Haustür, durch die gerade Christoph hereinkam, völlig außer Atem, im Arm eine Brötchentüte und eine Baguettestange. Er legte alles vorsichtig auf dem Küchenschrank ab, gab seiner Mutter einen flüchtigen Kuss auf die Wange und verschwand erst einmal wieder im Badezimmer. Ich hörte den Wasserhahn laufen. Klar, nach einer Stunde Rad fahren würde auch ich mehr als nur schwitzen.
    Tante Melanie verteilte die Brötchen und wandte sich der Kaffeemaschine zu.
    Christoph kam wieder herein und setzte sich an den Tisch, genau mir gegenüber. Noch immer sagte er kein Wort, aber seine Augen fixierten mich plötzlich und ließen mich nicht mehr los. Ein klarer Blick, offen und ernst, auch etwas fragend und mit einer kleinen Spur Unsicherheit

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