Wolkengaukler
gekommen. Das gestrige Gespräch klang noch in mir nach. Die Wärme, die Christophs Liebkosungen in meinem Körper erzeugt hatten, verlieh mir ein seltsames Gefühl von Entschlossenheit und Kampfesmut.
„Mama, ich wollte dir noch etwas sagen.“
„Ja, was denn?“
„Es geht um mein künftiges Studium. Ehm, warte mal...?“ Christoph kam zurück. Ich hielt die Sprechmuschel zu, und er bedeutete mir, dass Tante Melanie gleich käme. Dann zog er sich den Telefonschemel heran und setzte sich mir gegenüber. Er musste meine letzten Worte gehört haben, denn seine Augen blitzten nicht mehr verspielt und übermütig wie vorhin, sondern schauten ernst und konzentriert, erwartungsvoll und aufmunternd.
Ich holte tief Luft. „Mama, weißt du, dass ich hier ein Praktikum in der Bibliothek mache?“ Nein, natürlich nicht, woher denn auch?!
„Nein, das weiß ich nicht. Das ist aber toll, dass du ein bisschen arbeitest. Gibt es auch Geld dafür?“ War es denn wichtig, dass ich dafür Geld bekam? Es kam doch eigentlich auf die Sache selbst an!
„Nein, dafür nicht. Aber ich jobbe auch noch für ein paar Stunden die Woche in einem Buchladen, da gibt’s ein bisschen Kohle. Aber darum geht es mir gar nicht.“
Sie musste an meiner Stimme gehört haben, dass jetzt etwas Wichtiges kam, denn sie schien sich innerlich zu wappnen, bevor sie fragte: „Du machst es aber geheimnisvoll. Worum geht es denn dann?“
Ich zögerte. Christophs Augen hielten mich fest: ‚Jetzt, Jann, sag es!’
„Mama, ich möchte nicht Pharmazie studieren, oder sonst was, wie Papa das will. Ich möchte in die Literatur-wissenschaften gehen, mit Büchern und Sprache arbeiten, nicht mit Tabellen und Zahlen.“ Jetzt war es heraus, und Christophs Augen schienen mich zu liebkosen, wie zuvor seine Hände.
Am anderen Ende der Leitung war es still. Dann sagte Mutter: „Ach, Jann, das kommt jetzt aber plötzlich. Meinst du nicht, wir sollten darüber reden, wenn wir alle wieder zu Hause sind?“
Ich schwankte plötzlich, denn ich hatte das Gefühl, dass sie mich nicht ernst nahm, dass sie meinen Wunsch für eine kleine Jungenlaune hielt, unüberlegt, hitzig aus der Begeisterung des Augenblicks heraus. Christoph fing mich mit seinem Blick wieder auf, und ich zog daraus die Kraft für meine nächsten Worte:
„Darüber reden, ja, aber nicht ausreden. Die Sache ist mir sehr wichtig, und ich meine es ernst. Ich will nicht in Vaters Geschäft einsteigen. Ich will meinen eigenen Weg gehen.“ Und nach einem Augenblick stummen Ringens mit mir selbst fügte ich hinzu: „Ich will nicht leben, um zu arbeiten, und auch nicht arbeiten, um zu leben. Ich will mit meiner Arbeit leben, indem ich mit dem Leben arbeite.“ Dieser Satz war mir heute Nacht eingefallen, als ich neben Christoph gelegen, sein schlafendes Gesicht betrachtet und noch einmal in Ruhe über meine Zukunft nachgedacht hatte. Christoph nickte mir anerkennend zu.
Mutter schwieg sehr lange; schließlich seufzte sie: „Mensch, Jann, du hast dich irgendwie verändert. Scheinst jetzt erwachsen zu werden... Das ist ein harter Brocken, besonders für Papa. Ich kann dir jetzt nicht so richtig etwas dazu sagen. Aber das mit dem Praktikum finde ich gut. Beide Jobs. Hmm. – In Ordnung, wir werden die Sache ganz in Ruhe besprechen, vielleicht wird es wirklich langsam Zeit dafür.“
„Wirst du hinter mir stehen?“, fragte ich. Noch einmal keimten Zweifel in mir auf. Ich hörte sie am anderen Ende lächeln. Kann man jemanden lächeln hören? Ich meine Mutter schon.
„Ich stehe immer hinter dir, mein Sohn, solange du selbst aufrecht bleibst. Und jetzt mach’ noch ein bisschen Ferien, ja? Die Arbeit kommt noch früh genug.“
„Danke, Mama!“ Ich schmatzte einen Kuss durch den Hörer, vor Erleichterung übermütig wie ein junges Fohlen. „Mach’s gut! Ich gebe dich jetzt weiter an Tante Melanie. Tschüß!“
Beim Hinausgehen legte mir Christoph den Arm um die Schultern und küsste mich zärtlich auf die Stirn: „Gut gemacht!“
Im selben Moment hörte ich Tante Melanie in den Telefonhörer sprechen: „... ja, die beiden verstehen sich sehr gut. Ich bin richtig froh darüber ....“ Ich schaute über die Schulter zu ihr zurück und fing ihren Blick auf, den sie uns nachsandte: amüsiert, stolz, aber auch ein wenig nachdenklich.
Den Nachmittag verbrachten wir in der City. Christoph brauchte noch ein paar Klamotten für Kanada, und ich wollte mich ebenfalls neu einkleiden, auch äußerlich
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