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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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Vorbeigehen spielerisch in die Rippen. Wenn Christoph bei mir ist. Dann jedenfalls nicht auf Abendbrot. Und schon gar nicht auf Boxkämpfe mit dir. Ich wehrte ihn geschickt ab und wandte dann meine Aufmerksamkeit wieder meiner Mutter zu, die offenbar beschlossen hatte, mich ein bisschen auszufragen: „Hör mal, Jann, wird bei euch in der Schule in diesem Jahr wieder so eine Weihnachtsparty sein?“ Meine inneren Antennen stellten sich auf. So herum wollte sie mir also etwas entlocken!
    „Ja, natürlich. Wieso?“, fragte ich so beiläufig wie nötig.
    „Ach, nur so“, antwortete sie so desinteressiert wie möglich. Wir wussten beide voneinander, dass der andere jetzt in höchster Alarmbereitschaft war.
    „Mit wem gehst du denn hin?“ Wieso, ich war doch Schüler der Schule, da brauchte ich keine ‚Eintrittskarte’.
    „Mit Felix, meiner Clique, wie immer eigentlich. Warum fragst du?“ Ich bohrte nach, weil ich wollte, dass sie das aussprach, was sie offenbar so sehr beschäftigte.
    „Na ja, ich dachte, dass vielleicht ... Ich weiß nicht, also...“ Sie seufzte: „Na ja, wenn ihr alle zusammen dahingeht, ist das sicher in Ordnung.“ Der letzte Satz klang etwas resigniert. Vorläufig schaffte sie es noch nicht, so intim an mich heranzutreten. Aber das Thema würde wiederkommen, und früher oder später würde ich mich dem stellen müssen. Ich hoffte, dass es besser später als früher sein würde und begann, den Abendbrottisch zu decken.
     
    Tatsächlich rückte die Schulweihnachtsfete immer näher. Die Verpflichtung, dort mit einem Mädchen aufzutauchen, blieb mir in diesem Jahr erspart, denn Felix hatte beschlossen, auch erst einmal solo zu bleiben – vielleicht mir zuliebe, vielleicht auch wegen seines angekratzten Egos. In letzter Zeit wich er mir in der Schule nicht mehr von der Seite, soweit das bei unseren verschiedenen Kursen möglich war. Manchmal wurde es mir fast schon zuviel, aber ich beschwerte mich lieber nicht. Ich wollte nicht noch einmal einen Krach mit ihm riskieren.
    Am letzten Schultag vor Weihnachten war kein normaler Unterricht mehr möglich. Die Mädchen tuschelten und wuselten umher wie aufgescheuchte Mäuse, klärten Outfits für den Abend ab, tauschten Make-up und Parfums aus. Die Jungs spielten während der Pausen  Karten und ignorierten geflissentlich die eintretenden Lehrer, die prompt etwa zehn Minuten zu spät zum Unterricht erschienen. Felix schien keine Lust auf die Fete zu haben und versuchte, mir meine auch auszureden. Aber ich wollte gerne hingehen – warum, wusste ich selbst nicht.
    Nur unsere Französischlehrerin schaffte es, in dem allgemeinen Durcheinander noch so etwas wie einen roten Faden in ihren Unterricht zu bringen. Kaum hatte sie ihre Tasche am Lehrertisch abgestellt, zog sie mit einem durchdringenden: „Bon jour, Messieurs-Dames!“ unerbittlich die Aufmerksamkeit aller auf sich.
    „Ich habe mir heute etwas besonderes für euch ausgedacht. Das heißt, nicht ich, sondern Celine. Sie hat einen Vortrag zusammengestellt“ – die Jungs in der Wandreihe neben mir verdrehten die Augen – „über die Weihnachtsbräuche in Frankreich und ganz besonders in der Bretagne.“ Einige Mädels klatschten begeistert Beifall. Das waren die, mit denen ich Celine meistens zusammen gesehen hatte.
    Ich beobachtete ihre schlanke Gestalt, als sie nach vorne ging, eine Mappe unter dem Arm. Sie trug das Haar heute offen, auf dem Rücken gehalten durch einen Kranz aus zwei geflochtenen Strähnen, die sich von den Schläfen ausgehend auf dem Hinterkopf trafen. Es schimmerte seidig in der Wintersonne, die von draußen hereinschien. Plötzlich fiel mir ein, dass bei Christoph jetzt auch Winter war. Ob in Montreal Schnee lag? Bei uns lag keiner, und ich stellte mir einige wunderbare Sekunden lang vor, mit Christoph eine Schneeballschlacht zu machen. Im Winter hatte ich ihn noch nie erlebt. Aber Sommer war sowieso besser, da hatte er nicht so viele dicke Sachen an, nur ein T-Shirt und Shorts – wenn überhaupt!
    Verflixt, wo kamen jetzt diese Gedanken her? Ich beugte mich möglichst unauffällig nach vorne, um keine falsche Aufmerksamkeit zu erregen. Felix sah mich erstaunt von der Seite an: „Tu doch nicht so, als ob dich das interessieren würde“, flüsterte er. Ich hatte ganz andere Probleme!
    Währenddessen hatte Celine vorne ihre Materialien ausgebreitet, ein Schaublatt und ein Arbeitspapier mit Vokabeln herumgereicht – woraus ich schloss, dass der Vortrag auf

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