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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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Weißt du eigentlich, dass sich beinahe jeder von uns die Augen nach der ausguckt? Es gibt hier Leute, die hätten drei Finger für einen Tanz mit ihr hergegeben. Und du ziehst einfach so mit ihr ab? Ausgerechnet DU?“
    Meine innere Alarmanlage ging an. „Was meinst du mit AUSGERECHNET DU?“, fragte ich betont ruhig.
    „Na ja, weil du doch ....“ Meine Augen verengten sich zu gefährlich funkelnden Schlitzen. Felix sah das noch rechtzeitig und senkte die Stimme: „Eigentlich machst du dir doch nichts aus Mädchen, oder nun wieder doch? Ich komme bei dir nicht mehr mit, Alter!“
    Ich bei mir im Moment auch nicht, Kumpel, aber das sage ich dir jetzt nicht. Stattdessen zuckte ich mit den Schultern. „Sie hat mich gefragt, was sollte ich denn machen?“
    Felix schien für solch eine Situation auch keine Patentlösung zu haben. Noch immer fassungslos schüttelte er den Kopf und drehte sich dann zu den anderen Jungs hinter uns um, um das eben Gesehene zu moderieren. Ich lauschte ihrem Gespräch eine Weile, aber es fielen nur die üblichen eindeutig zweideutigen Bemerkungen, die zwangsläufig kamen, wenn ein Junge und ein Mädchen sich ... na ja, jedenfalls hatte Felix offensichtlich niemandem etwas über mich erzählt, und ich hoffte, dass das auch erst einmal so blieb.
    Ich selbst war ebenfalls ziemlich durcheinander, auch wenn ich das Felix gegenüber nicht gezeigt hatte. Was war da eben passiert? Und wieso? Es war alles so schnell gegangen. Irgendwie hatte ich die ganze Zeit das Gefühl gehabt, dass es furchtbar falsch war, was ich da tat. Aber dann hatte ich Celines Augen vor mir gesehen, und alles war in Ordnung gewesen. Dann an der Bar hatte ich mich mit ihr unterhalten wie mit einem guten Freund, kein Herzrasen, keine Nervosität; als wäre es das Normalste der Welt, mit ihr zu reden; als würden wir uns schon ewig kennen.
    Irgendwie wurde mir das hier langsam alles zuviel! Oder hatte da jemand etwas in mein Glas gekippt? Vielleicht würde es helfen, mit Christoph darüber zu reden. Ich sah auf die Uhr. Bei ihm war es jetzt etwa sieben Uhr abends. Wenn ich Glück hatte, konnte ich ihn am PC erwischen. Aber dann verließ mich wieder der Mut. Wie konnte ich mit Christoph über ein Mädchen reden? Der würde doch aus allen Wolken fallen! Sich Gedanken machen, anfangen zu zweifeln! Das konnte ich ihm jetzt nicht antun, nicht über diese Entfernung hinweg! Ich atmete tief durch. Jemanden anderes zum Reden gab es nicht. Mama? Die machte sich höchstens noch falsche Hoffnungen! Tante Melanie? Dasselbe wie bei Christoph. Nein, da war wirklich niemand zum Reden. Also musste ich jetzt erst einmal allein damit klarkommen, und das ging am besten zu Hause.
    „Leute, ich haue ab. Schöne Weihnachten zusammen!“, rief ich  über die Schulter. Natürlich konnten meine Kumpel sich ihre obligatorischen, anzüglichen Bemerkungen nicht verkneifen. Ach Leute, wenn ihr wüsstet! Aber sie wussten es nicht, und ich wusste jetzt auch erst einmal nicht so richtig weiter. Felix blieb bei ihnen, und ich spürte, wie uns dieses ‚Problem’ langsam zu entzweien schien. Schade, aber eine Männerfreundschaft lief dann wohl doch nicht so einfach nebenher.

 
    V
    Drei Tage später saß ich mit meiner Familie in trauter Runde vor dem Weihnachtsbaum. Nichts war bei uns so heilig wie der Heilige Abend, das Fest der Familie, der Liebe und der Freude. Keiner wusste, dass ich in Gedanken Tausende von Kilometern weit entfernt meine eigene Liebe und Freude genoss, mit Christoph durch den Schnee stapfte, vielleicht durch einen weißen Winterwald, vielleicht über verschneite Felder – keine Ahnung, wie es in Montreal aussah. Jedenfalls hatten sie dort Schnee, das hatte ich in Christophs letzter Mail gestern Abend noch gelesen.
    Na ja, vielleicht ahnte ja doch eine unter uns meine geheimen Gedanken: Tante Melanie, die meine Mutter zu uns eingeladen hatte, damit sie den heiligen Abend nicht allein verbringen musste. Wir hatten sie gestern Nachmittag vom Bahnhof abgeholt, und sie wollte bis Neujahr bleiben, was mir sehr recht war.
    Spontan und direkt, wie sie war, hatte sie mich bei der Begrüßung sogleich herzlich in den Arm genommen: „Hallo, Jann, grüß dich! Mein Gott, ist das schon wieder fünf Monate her, seit wir uns gesehen haben? Wie geht es dir denn, so ohne –“ Ich war auf der Hut gewesen, hatte ihr sofort einen alarmierenden Blick zugeworfen und rasch fast unmerklich den Kopf geschüttelt. Sie sah mich verwundert an, und ich

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