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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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Falks Beispiel und dem seines Vaters wirklich folgen?
    Das war wohl die Entscheidung, die er irgendwann für seinen Lebensweg würde treffen müssen: entweder frei, aber allein, oder gebunden an einen Menschen, den er liebte, und von dem er geliebt wurde.
    Er seufzte noch einmal und schaltete den PC aus. Heute würde er die Antwort auf seine Fragen nicht finden. Aber heute musste er ja die Entscheidung auch noch nicht treffen. Es war noch Zeit - und jetzt wurde es wirklich langsam Zeit für den Vortrag. Als er seine Tasche schulterte, war es ihm, als würde er aus den Augenwinkeln am Fenster eine Bewegung wahrnehmen – wie zwei Schmetterlinge, die draußen im Sonnenschein durch die Luft taumelten. Aber als er sich umwandte, stellte er fest, dass es draußen stockdunkel war, seit einigen Stunden schon. Außerdem hatte der Winter bereits vor Wochen Einzug gehalten, und die Natur war im Kälteschlaf erstarrt. Eine Sinnestäuschung also, vielleicht zwei Blätter, die der Wind aufgewirbelt hatte. Aber die Erinnerung an die bunten Gaukler, ihre Leichtigkeit und ihren Frohsinn, stimmten auch ihn wieder ein bisschen hoffnungsvoller.

 
    IV
    Die wenigen verbleibenden Wochen bis Weihnachten waren immer die schlimmsten des ganzen Jahres. Jeder Lehrer schien zu glauben, dass nach den Weihnachtsferien überhaupt kein Unterricht mehr stattfinden würde, und wir möglichst noch vor dem Jahreswechsel den Stoff des gesamten Schuljahres durchnehmen müssten. In dem ganzen Trubel vergaß ich meinen Traum, meine Sorgen und manchmal sogar, Christoph zu schreiben. Oft war ich auch einfach zu müde dazu, seine Mails zu lesen oder seine Entwürfe zu begutachten.
    Meine Eltern beobachteten meinen neu erwachten Lerneifer mit Erstaunen, mein Vater mit Wohlwollen, meine Mutter mit etwas Sorge. An einem Abend, ich saß gerade im Wohnzimmer und versuchte mich zu entscheiden, ob ich fernsehen oder lieber an den PC gehen sollte, hörte ich sie in der Küche miteinander reden; wieder einmal ging es um mich, ohne dass ich gefragt wurde:
    „Frank, der Junge macht mir ein bisschen Sorgen. Irgendwie ist das mit seiner Lernerei nicht normal.“ Ich stellte den Fernseher leiser, damit ich sie besser verstehen konnte. Mittlerweile fand ich es nicht mehr so schlimm zu lauschen – bekam man doch dadurch manchmal Dinge mit, von denen man sonst keinen blassen Schimmer gehabt hätte!
    Vater entgegnete in großzügigem Tonfall: „Lass ihn doch, wenn er was für die Schule macht, ist doch in Ordnung! Mathe und Physik haben noch niemandem geschadet. Besser, als wenn er irgendwo rumhängt und Mist baut. Aus dem wird noch mal was!“ Ja, aber mit großer Wahrscheinlichkeit nicht das, was du dir vorstellst! Ich ballte die Hände reflexartig zu Fäusten zusammen. ‚Nicht so aggressiv!’, hallte Christophs Stimme von irgendwoher durch meinen Kopf, und allein bei der Erinnerung an ihren Klang wurde ich wieder ruhiger und entspannte mich.
    Mutter hatte indessen schon weitergesprochen: „Na ja, aber schau mal, er ist mittlerweile siebzehn! Er ist gesund, sportlich, sieht gut aus – eigentlich müssten wir doch hier schon mal ein Mädchen gesehen haben, meinst du nicht?“
    Ach Mama, du wirst hier nie eins sehen, tut mir leid. Aber das weißt du noch nicht. Und es ist auch noch nicht an der Zeit, dir das zu sagen. In Gedanken warf ich ihr einen Luftkuss zu.
    Mein Vater schien zu überlegen: „Da war doch mal eine ... wie hieß die gleich? Sabine? Oder Claudia ?“ Isabel, Papa, sie hieß Isabel, und das ist seit fast einem halben Jahr vorbei!
    „Sie hieß Isabel, glaube ich. Aber er hat sie nie hierher mitgebracht. Das muss also vorbei sein.“ Auf die Beobachtungsgabe meiner Mutter war augenscheinlich Verlass. Aber mein Vater schien abzuwinken:
    „Ach, Mädchengeschichten! Dafür hat er weiß Gott noch Zeit. Erst mal muss er sein Leben ordnen und was Vernünftiges aus sich machen. Eine Liebelei findet sich dann allemal.“
    Wenn man wie du viel Geld im Portemonnaie und einen fetten Benz vor dem Haus hat, was? Lass man, das brauche ich nicht! Ich spürte schon wieder die Aggression in mir hochkommen. Manchmal war mein Vater so sensibel wie ein Kaffeepott! Sicherheitshalber beschloss ich, dazwischen zu gehen, bevor die Situation eskalierte, stand geräuschvoll auf und ging in die Küche: „Mama, wann gibt es was zu essen?“
    „Gleich, Jann.“ Sie setzte Teewasser auf. Mein Vater murmelte: „Wann hast du eigentlich mal keinen Hunger?“ und boxte mir im

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